Wirtschaft
Wifo-Kramer warnt vor zu raschen Steuerreform-Entscheidungen
Für Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts würde Pensionsantritt mit 62 Finanz-Problem entschärfen helfen
Wien (APA) - Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo),
Helmut Kramer, hat am Sonntag vor übereilten Entscheidungen zur für
2003 in Aussicht gestellten Steuerreform gewarnt. "Nach den
gegenwärtigen Konjunkturvorstellungen ist für das kommende Jahr
eigentlich kein Spielraum", meinte Kramer in der ORF-"Pressestunde". Konjunkturprognose
Über die den Wirtschaftsforschungsinstituten zugewiesene Rolle,
mit ihrer Konjunkturprognose Ende Juni maßgebliche
Entscheidungsgrundlagen für das Thema zu liefern, zeigte sich Kramer
"nicht besonders glücklich": "Das bringt uns möglicherweise dazu,
sehr vorsichtig zu sein."
Aktuelle Prognosen
Kramer erinnerte an die Situation im Frühjahr 2001, als im Licht
damals noch wesentlich günstigerer Konjunkturprognosen das Budget
2002 beschlossen worden sei: "Ich warne davor, sich zu früh
festzulegen." Die Regierungsparteien sollten bei ihren Entscheidungen
zur Steuerreform die Entwicklungen des Sommers abwarten, die
Institute könnten dann "aktuellere und zutreffendere Prognosen"
treffen.
Wachstum von 1,2 Prozent
Kramer hielt an der im April abgegebenen Wifo-Prognose eines
Wachstums von 1,2 Prozent über das gesamte Jahr 2002 fest. Vor allem
die Wirtschaft in den USA entwickle sich gut, auch die Rückmeldungen
aus der österreichischen Wirtschaft stimmten optimistisch: "Wir
bekommen von Monat zu Monat auch aus der österreichischen Industrie
optimistischere Einschätzungen." Der Rückgang der Arbeitslosenraten
werde aber noch auf sich warten lassen, weil die Beschäftigungslage
etwa ein halbes Jahr hinter der Konjunktur hinterher hinke: "Wir
müssen damit rechnen, dass sich die österreichischen
Beschäftigtenzahlen bis Herbst nicht erholen."
Er verstehe den Wunsch der Politiker nach einer baldigen
steuerlichen Entlastung, sagte Kramer. Diese solle aber "eingebunden
sein in ein ganzes Paket von Reformmaßnahmen über mehrere Jahre", es
müsse 2003 ja nicht gleich für jede Gruppe Entlastungsmaßnahmen
geben.
Tatsächlicher Pensionsantritt mit 62 würde Problem entschärfen helfen
In Sachen Pensionen solle man nach der letzten Reform vor eineinhalb Jahren "nicht die Illusion haben, dass das alles gelöst ist". Dies sei ein längerfristiges Problem, Finanzierungsschwierigkeiten würden wahrscheinlich erst gegen 2020 spürbar werden, meinte Wifo-Chef Helmut Kramer Sonntag in der Fernseh-"Pressestunde". Wesentlich für die Lösung des Problems ist nach Meinung Kramers ein um drei Jahre späteres tatsächliches Pensionsantrittsalter - mit 61 bis 62 statt wie heute zwischen 58 und 59 Jahren.
Dazu müssten Anreize geschafft werden: Der "Malus" für den früheren Pensionsantritt und der "Bonus" für die spätere Pensionierung müssten vergrößert werden. Die Pensionsreform sei ein Problem, das jede künftige Regierung betreffe, deswegen sollten die politischen Parteien gemeinsam nach einer Lösung suchen: "In Schweden ist ein solcher nationaler Konsens zu Stande gekommen."
Skeptisch zeigte sich Kramer gegenüber den von der EU bei einem Gipfeltreffen in Lissabon im März 2001 beschlossenen Vorgaben, die Union zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Mit einem solchen Beschluss und der Einsatzung von Kommissionen richte man nicht viel aus: "Ich glaube nicht ganz an solche Mechanismen. Ich glaube, dass wir die europäische Wirtschaft von allzu viel Bevormundung und Regulierung entfesseln müssen."
Besorgt zeigte sich der Wirtschaftsexperte über die Entwicklung der deutschen Wirtschaft, die schon seit einigen Jahren "hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt". Mit der Lösung des viel zitierten "Reformstaus" beim Ende der CDU-FDP-Regierung sei die Regierung Schröder "nicht sehr weit gekommen". Eine wesentliche Ursache für die zögerliche deutsche Wirtschaftsentwicklung seien auch die Lasten der Wiedervereinigung.
EU-Erweiterung - wesentliche Impulse
Von der EU-Erweiterung erwartet sich Kramer wesentliche Impulse für die österreichische Wirtschaft - nicht nur solche, die sich unmittelbar im Bruttosozialprodukt niederschlügen. Durch eine stärkere Arbeitsteilung mit den neuen EU-Mitgliedsländern könnte die heimsicher Wirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Freilich könne die Integration der osteuropäischen Staaten beiden Seiten vorübergehend Anpassungslasten auferlegen. Die EU müsse ihre politische Verfassung so ändern, dass sie auch mit zehn neuen Mitgliedsstaaten manövrierfähig sei: "Sonst würde ich sagen, ist der Preis zu hoch".
Ein Angebot, Finanzminister zu werden, würde er dankend ablehnen, meinte der langjährige Wifo-Chef auf eine diesbezügliche hypothetische Journalistenfrage. "Ich würde keinen Job weniger gern nehmen als den des Finanzministers." Dies sei eine im Wesentlichen politische Aufgabe und zu anstrengend. "Ich hätte eher das Bedürfnis, meine Erfahrungen für die Frage nutzbar zu machen, wo die längerfristigen Optionen für die österreichische Wirtschaft sind", meinte der Wirtschaftsexperte. (APA)