Paris - Bei den Wahlen zur französischen Nationalversammlung treten mehr als 8.400 Kandidaten von Parteien und Listen an, von denen die meisten wegen des geltenden Mehrheitswahlrechts keine Aussicht haben, in das Parlament einzuziehen. Die französischen Parteien sind - sieht man von Neogaullisten, Sozialisten, Kommunisten und rechtsextremer Nationaler Front ab - nicht straff organisiert, Abspaltungen und Namensänderungen sind häufig. Das Wahlsystem der Fünften Republik hat eine bipolare Rechts-Links-Blockbildung begünstigt. Block des bürgerlichen Lagers Die neu geschaffene "Union für die Präsidentenmehrheit" (UMP) als Block des bürgerlichen Lagers umfasst: - Neogaullisten: "Sammlungsbewegung für die Republik" (Rassemblement pour la Republique/RPR): Die Nachfolgeorganisation der von General Charles de Gaulle ins Leben berufenen Bewegungen (RPF, UNR, UDR) wurde 1976 von Jacques Chirac gegründet und zu einer konservativen Partei mit autoritären Strukturen ausgebaut. Sie ist Mitglied des konservativen Parteiendachverbandes IDU. Parteivorsitzende ist Michele Alliot-Marie, derzeit Verteidigungsministerin, als mächtigste Persönlichkeit gilt Ex-Premier Alain Juppe'. Der traditionalistische Flügel um den EU-kritischen Ex-Innenminister Charles Pasqua ist abgefallen und nennt sich "Rassemblement pour la France" (RPF). Chirac bekam im ersten Durchgang der Präsidentenwahl 19,9 Prozent der Stimmen. - Liberaldemokraten: "Democratie liberale" (DL): diese Partei ist die Nachfolgerin der Republikanischen Partei (PR), ursprünglich "Unabhängige Republikaner", die sich 1962 um Valery Giscard d'Estaing gesammelt hatten, um als kleiner Koalitionspartner der Gaullisten deren Vormacht einzudämmen. Die Liberaldemokraten waren stärkste Gruppe innerhalb der 1978 gegründeten UDF, aus der sie 1998 unter der Führung von Ex-Wirtschaftsminister Alain Madelin ausgeschieden sind. Madelin bekam bei der Präsidentenwahl am 21. April 3,9 Prozent. Der neue Premier Jean-Pierre Raffarin ist DL-Mitglied. UMP "Union für die Französische Demokratie" Den Beitritt zur UMP verweigert hat: - die "Union für die Französische Demokratie" (Union pour la Democratie Francaise/UDF): Dieser lockere Verband von Liberalen verschiedener Prägung und Zentrumsdemokraten ist vor den Parlamentswahlen 1978 zur Unterstützung des damaligen (nicht-gaullistischen) Staatspräsidenten Valery Giscard d'Estaing gegründet worden. Bei der Präsidentenwahl 1995 unterstützte die UDF Chiracs innerparteilichen RPR-Konkurrenten Edouard Balladur. Vorsitzender der UDF ist der frühere Erziehungsminister Francois Bayrou, der im ersten Durchgang der Präsidentenwahl im April 6,8 Prozent der Stimmen erhalten hatte. "Force Democrate" Hauptpfeiler der Rest-UDF ist - "Force Democrate" (bis 1995 "Zentrum der sozialen Demokraten"): Diese Partei steht in der Tradition der christlich-demokratischen "Republikanischen Volksbewegung" (MRP) des früheren Ministerpräsidenten und Europa-Politikers Robert Schuman. Unter General de Gaulle und dessen Nachfolger Georges Pompidou waren die Zentrumsdemokraten in der Opposition. Giscard holte sie 1974 in die Regierung. Das linke Lager umfasst: - PS - Sozialistische Partei (Parti Socialiste/PS): 1905 vereinigte Jean Jaures mehrere sozialistische Strömungen in der "Französischen Sektion der Arbeiter-Internationale" (SFIO). Die SFIO stellte nach dem Volksfront-Sieg 1936 erstmals den Regierungschef (Leon Blum) und 1947 den Staatspräsidenten (Vincent Auriol). 1971 wurde die SFIO als "Sozialistische Partei" (PS) von Francois Mitterrand neu gegründet. 1972 bildete sie mit den Kommunisten und den linksliberalen "Radikalen der Linken" die Linksunion. Nach Mitterrands Wahl zum Staatspräsidenten 1981 haben die Sozialisten als Regierungspartei einen sozialdemokratischen Kurs eingeschlagen. 1986 verloren sie die Wahlen, kehrten aber 1988 nach Mitterrands Wiederwahl an die Regierung zurück. 1993 erlitten sie eine schwere Wahlniederlage. (1986-88 und 1993-95 musste Mitterrand mit bürgerlichen Regierungen "kohabitieren"). 1995 verlor die PS das Präsidentenamt an die Rechte: der Neogaullist Chirac wurde Nachfolger Mitterrands, aber 1997 brachten vorgezogene Parlamentswahlen eine linke Mehrheit, es kam zur fünfjährigen Kohabitation Chiracs mit dem Sozialisten Lionel Jospin als Premier. PS-Parteichef ("Erster Sekretär") ist Francois Hollande. Bei der Präsidentenwahl erhielt Jospin 16,2 Prozent. - PCF - Kommunistische Partei (Parti Communiste Francais/PCF): Die KP wurde 1920 von der SFIO-Mehrheitsfraktion gegründet und orientierte sich bis in die 60er Jahre stark am sowjetischen Vorbild. Mit Wahlergebnissen um die 20 Prozent erwies sie sich jahrelang als stabilste politische Kraft in Frankreich. Unter Georges Marchais, der 1972 Parteichef wurde, wandte sie sich zunächst zusammen mit ihrer Schwesterpartei in Italien einem eurokommunistischen Kurs zu. 1981 war sie mit vier Ministern in der ersten Linksregierung vertreten, 1984 kam es zum Bruch mit dem sozialistischen Partner. Seitdem sank ihr Einfluss stetig. 1997 kehrte sie in die Linksregierung zurück. Parteichef ist seit 1994 Robert Hue, der bei der Präsidentenwahl im April lediglich 3,4 Prozent bekam. - PRG - Radikale der Linken (PRG) (früher: Radikalsozialistische Partei) Frankreichs älteste noch existierende Partei entstand 1901 als Vertretung des antiklerikalen Mittelstandes unter dem Namen "Radikale und Radikalsozialistische Partei". Sie wurde zur stärksten Partei der Dritten Republik und stellte auch in der Vierten Republik bedeutende Ministerpräsidenten wie Pierre Mendes France und Edgar Faure. Sie spaltete sich 1972, als sich ihr Mehrheitsflügel mit der Bezeichnung "Bewegung der Radikalen der Linken" der Linksunion anschloss. Die Minderheit ging unter Jean-Jacques Servan-Schreiber im bürgerlichen Lager (UDF) auf. Die Radikalen waren 1981-86, 1988-93 und 1997-2002 in der Regierung vertreten, unter anderem mit dem umstrittenen Unternehmer Bernard Tapie. Ihre Präsidentschaftskandidatin, die farbige Abgeordnete Christiane Taubira aus Französisch-Guyana, kam im April auf 2,3 Prozent. MDC - Republikanischer Pol - "Republikanischer Pol" (früher: Bürgerbewegung, Mouvement des Citoyens/MDC) Unter dem ehemaligen Erziehungs- und Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevenement, einem entschiedenen Maastricht-Gegner, löste sich 1993 ein Teil des linken Flügels von den Sozialisten und konstituierte sich als eigene Partei, zu der auch andere Linke stießen. 1997 kehrte Chevenement als Innenminister in die Regierung zurück, trat aber wegen der Korsika-Politik Jospins zurück. Bei der Präsidentenwahl bekam Chevenement 5,3 Prozent. - Die Grünen ("Les Verts"): Die Umweltschutzbewegung blieb als gesellschaftspolitische Kraft in Frankreich lange Zeit schwach und ist in mehrere verfeindete Gruppierungen zerfallen. Die weitaus stärkste, "Les Verts", wird von Dominique Voynet angeführt, der früheren Umweltministerin und Vertreterin eines linken Kurses. Ihr Präsidentschaftskandidat Noel Mamere erhielt 5,25 Prozent. Rechtsextreme und Linksextreme - Die extreme Rechte: - Nationale Front (Front National/FN) FN entstand 1972 durch den Zusammenschluss von mehreren rechtsextremen Gruppen und ist ohne ihren Chef Jean-Marie Le Pen, der bei den Präsidentenwahlen 1988 und 1995 jeweils annähernd 15 Prozent der Stimmen erhielt, nicht denkbar. Bei der Präsidentenwahl 2002 kam er mit 16,8 Prozent in die Stichwahl. Mit "law and order"-Parolen wirbt sie gegen Einwanderung und Integration von Ausländern aus dem ehemaligen französischen Kolonialreich, vor allem aus Nordafrika. - Nationalrepublikanische Bewegung (Mouvement national republicain/ MNR) wurde von dem früheren FN-"Chefideologen" Bruno Megret nach dessen Führungsstreit mit Le Pen gegründet. Megret bekam bei der Präsidentenwahl 2,3 Prozent. - Bewegung für Frankreich ("Mouvement pour la France") Diese ultranationalistische, aber nicht rassistische Partei wurde 1994 von dem Aristokraten Philippe de Villiers, einem ehemaligen Abgeordneten und Staatssekretär der Rechtsliberalen, gegründet, der bei den vorletzten Europawahlen mit seiner rechten Anti-Maastricht-Liste auf Anhieb über zwölf Prozent erhielt. Bei den Präsidentenwahlen 1995 kam er auf knapp fünf Prozent, 2002 kandidierte er nicht. - Extreme Linke Im ersten Durchgang der Präsidentenwahl am 21. April haben die drei konkurrierenden trotzkistischen Kandidaten zusammen elf Prozent der Stimmen erhalten. Die mit Abstand stärkste linksextreme Partei ist die trotzkistische "Lutte Ouvriere" (Arbeiterkampf). Ihre Symbolfigur Arlette Laguiller erhielt bei der Präsidentenwahl 5,7 Prozent der Stimmen. Sie lehnt Wahlempfehlungen für andere Linkskandidaten prinzipiell ab. (APA)