Paris - Bei der Fußball-WM in Fernost geht es für die französischen "Bleus" beim Match am heutigen Dienstag um Sein oder Nichtsein. Anders in der Politik: Dort scheinen die "Blauen", wie die französische Rechte genannt wird, bereits gewonnen zu haben. Alle Hochrechnungen sagen den Bürgerlichen im zweiten Durchgang der Parlamentswahlen in einer Woche eine bequeme Mehrheit in der Nationalversammlung voraus.Die neue "Union für die Präsidentenmehrheit" (UMP) von Staatschef Jacques Chirac sowie die "Union für die französische Demokratie" (UDF) des Zentrumsdemokraten François Bayrou erhalten zusammen mit ihnen nahe stehenden Parteien 43 Prozent der Stimmen; wegen des Mehrheitswahlrechts dürften sie mehr als 300 der 577 Sitze erobern. Sogar Sozialistenchef François Hollande räumte ein, dass dafür "alle Voraussetzungen gegeben" seien. Das klare Ergebnis dürfte die Rechte nach einer fünfjährigen Absenz an die Macht zurückbringen. Nach der Wiederwahl Chiracs im Mai verwünschten die Franzosen offenbar das lähmende System der "Cohabitation". Als Wahljoker erwies sich der von Chirac berufene Übergangspremier Jean-Pierre Raffarin. Der 53-jährige Provinzpolitiker verkörperte offenbar für viele Franzosen einen politischen Neuanfang. Nach dem zweiten Wahlgang wird die Rechte den Tatbeweis aber erst noch erbringen müssen. "Die Franzosen wollen Aktion sehen", kommentierte der von der UDF zur UMP übergelaufene Exminister Philippe Douste-Blazy. Und Libération-Chefredakteur Serge July verweist auf eine französische Eigenart: "Die politischen Mehrheiten verbrauchen sich sehr schnell." Appell an Nichtwähler Die Sozialisten appellierten an die zahlreichen Nichtwähler des ersten Wahlgangs, eine "blaue Hegemonie" in der Nationalversammlung zu verhindern. Mit 23 Prozent hielt der Parti Socialiste seine Niederlage indes in Grenzen. Innerhalb der Linken baute er seine Führungsrolle aus: Die früheren Koalitionspartner, die Kommunisten und Grünen, sanken auf je unter fünf Prozent; die "Bürgerbewegung" des dissidenten Maastricht-Gegners Jean-Pierre Chevènement sackte gar auf ein Prozent ab, und die drei trotzkistischen Formationen, die in den Präsidentschaftswahlen weit über zehn Prozent erzielt hatten, erhielten zusammen weniger als drei Prozent. Kommunistenchef Robert Hue wird den Parteivorsitz wohl abgeben müssen, wenn die einst stärkste Partei Frankreichs im zweiten Wahlgang nicht einmal mehr Fraktionsstärke (20 Abgeordnete) erhalten sollte. Die Sozialisten müssen sich aber auch intern zusammenraufen: Der sozialliberale, proeuropäische Flügel um die Spitzenpolitiker Laurent Fabius und Dominique Strauss-Kahn stößt auf zunehmende Kritik von links: Dort empfehlen jüngere Parteimitglieder der "Gauche socialiste" einen neuen "Klassenkampf" gegen Globalisierung und Sozialabbau, um auch die niedrigsten Wählerschichten zurückzugewinnen, die zum Front National (FN) abgewandert sind. Die Rechtsextremen stehen plötzlich wieder als große Wahlverlierer da. Nach den 17 Prozent Stimmen für FN-Präsident Jean-Marie Le Pen in den Präsidentschaftswahlen fällt der FN auf elf Prozent zurück; der davon abgespaltene MNR verkümmert bei einem Prozent. Im zweiten Wahlgang hat kaum eine Hand voll FN-Kandidaten Siegeschancen. Insgesamt retten sie sich nur in 37 Wahlkreisen in die Stichwahl. Damit kommt es nicht wie erwartet zu mehr, sondern zu drei mal weniger "triangulaires" als bei den Parlamentswahlen 1997. Für Erleichterung sorgt dies bei den Bürgerlichen, die mehrere Hundert "Dreieckswahlen" (links-rechts-rechtsextrem) befürchtet hatten. Nicht gebannt Die Gefahr vonseiten Le Pens ist aber mitnichten gebannt. Sie wird durch das Wahlsystem nur künstlich fern gehalten. Das gleiche Wahlresultat - 43 Prozent für die Rechte, 38 Prozent für die Linke und 12 Prozent für die extreme Rechte - hätte ganz andere Folgen, wenn in Frankreich das Verhältniswahlrecht gälte: Dann wäre der Front National mit über 60 Abgeordneten im Parlament vertreten und könnte das Zünglein an der Waage spielen, wie das etwa in Dänemark der Fall ist. Zudem macht die für Frankreich historisch tiefe Wahlbeteiligung von 65 Prozent klar, dass viele bisherige FN-Wähler nicht den Extremisten die Stimme gaben, sondern am Wahltag schlicht zu Hause blieben. Aber in Luft aufgelöst haben sie sich nicht. (Stefan Brändle/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. Juni 2002)