"Ausländer raus! Schlingensiefs Container": Ein Dokumentarfilm von Paul Poet versucht, jener legendären Wiener-Festwochen-Aktion gerecht zu werden, die vor allem Dynamiken in den Medien provozierte, welche derzeit auch die Antisemitismus-Debatte prägen.

Wien - In wenigen Tagen ist es so weit: Wie das deutsche Festival Theater der Welt in einer Aussendung vermeldet, wird "Christoph Schlingensief, der deutsche Kennedy" sich mit einer kurzfristig anberaumten Aktion 18 "in den optimistischen und originellen FDP-Bundestagswahlkampf einschalten" - und zwar "auf vielfachen Wunsch selbst inszenierender Parteivorsitzender, politikverdrossener Medienmacher und fallschirmspringender Populisten". - "Am 21. Juni besteigt er das Möllemobil und macht sich auf eine zehntägige Aufklärungsreise von Düsseldorf über Duisburg und Köln nach Bonn."

Was dabei zu erwarten sein wird, ist wie immer bei Christoph Schlingensief, der seine Aktionen nur rudimentär vorbereitet, völlig offen. In Agenturberichten war davon die Rede, er werde etwa öffentlich mehrere Tausend Exemplare des neuen Walser-Romans Tod eines Kritikers verbrennen. Und die Internet-Homepage von Theater der Welt kündigt immerhin an: "Stellvertretend für verhinderte Politgrößen setzt sich das mitreisende Aktion 18-Team aus biologisch gehaltenen Hühnern, Hasen und anderem Mastvieh zusammen, das wiederum stellvertretend und im Sinne der Wiener Aktionisten geopfert wird."

Keine Frage: Allein diese Nennung symbolischer "Opferungen" dürfte sowohl die Chronik- als auch die Feuilleton-Redaktionen in Bewegung setzen. Die Walser-Buch-Verbrennung sollte ihr Übriges tun. Wer unter den Journalisten anfänglich sagt: "Schon wieder - das wollen wir uns diesmal sparen!" -, der wird spätestens am nächsten Tag aufgrund der Schlagzeilen anderer Medien aktiv werden müssen. Auf Kommentare werden Gegenkommentare folgen, das Pro und Kontra wird wieder Saison haben. Und am Ende werden sich einmal mehr alle fragen, "warum denn das mit dem Schlingensief immer funktioniert".

Kein Politclown

Ausländer raus! Schlingensiefs Container von Paul Poet gibt darüber lediglich indirekt Auskunft. Poet hatte im Jahr 2000 für den Internetkanal webfreetv.com jene beispiellose Aktion filmisch dokumentiert, mit der Schlingensief den Festwochen die meistdiskutierte Veranstaltung ihrer Geschichte bescherte und nun nicht mehr auf das bis dahin strapazierte Klischee vom "Politclown" reduzierbar war. Dafür waren in Österreich, wo man gerade an den EU-Sanktionen gegen die schwarz-blaue Regierung laborierte, die Reaktionen zu alert, insgesamt zu wenig amüsiert.

"Was geht Sie unsere Innenpolitik an?! Sie sind eingekauft!", rief etwa die Wiener FP-Kultursprecherin Heidemarie Unterreiner in einer ZiB 3: "Sie werden mit Steuergeldern aus dem Ausland eingekauft, um Österreich und die Menschen, die dafür zahlen müssen, zu vernadern!"

Poets Film zitiert diese ORF-Aufnahmen ebenso, wie er selbst gefilmtes Material aus und rund um den Container im Schatten der Staatsoper Revue passieren lässt. In allen Fällen gilt (ohne dass dies vom Dokumentaristen ausführlicher reflektiert würde): Die Agierenden haben da, wo die Medien formatierte Bilder - sprich: Images - produzieren, kaum jemals die Chance, das Bild, das man sich von ihnen macht, mitzubestimmen. Alle sind überfordert.

Man beginnt denn auch beinahe, Ausländer raus! jetzt wie einen Beitrag etwa zu den gegenwärtigen Antisemitismus-Debatten zu lesen: Luc Bondy etwa und sein unbedachter Ausritt gegen Karl-Markus Gauß haben Schlagzeilen gezeitigt, die kaum in einer Relation zum tatsächlichen Ereignis stehen.

Aber, und das weiß kaum jemand besser als der frühere Filmemacher Schlingensief: Die "Images", die die Bilder überlappen, generieren sich irgendwann ohne Zutun der Beteiligten von selbst, in einer Mischung aus Zeitnot, Lärmproduktion und daraus resultierenden Übersteuerungen.

Heidemarie Unterreiner begann im Druck, den eine mit zehn Minuten limitierte TV-Diskussionszeit generiert, noch hysterischer zu schimpfen: Das ergab ebenso eine "wahre Lüge" wie die "Asylanten", die im Big-Brother-Verfahren aus dem Container gewählt wurden - sie wirkten gefährdet, weil der Blick durch Überwachungskameras an sich tendenziös ist. Auch die webfreetv-Aufnahmen vor dem Container waren "befangen" - in einer Nervosität vor erregten Passanten, einer unabschätzbaren Situation, die beim Vorbeimarsch einer Donnerstagsdemo tatsächlich beinahe eskalierte.

Fake-Revolution

Der Sturm auf den Container bescherte Österreich Revolutionsbilder, wie sie dieses Land realiter nie hervorgebracht hat. Gleichzeitig gingen Bilder von Xenophobie um die Welt, die ebenfalls Zuspitzungen, Interpretationen, ja oft Fehlleistungen waren. So sehr Schlingensief dabei auf schadhafte Momente setzte, auf Augenblicke, die außer Kontrolle geraten können, so sehr bewahrte er die Kontrolle und den Überblick im Umgang mit (Sende-)Zeit und (Handlungs-)Raum.

Es ist bei Betrachtung von Ausländer raus! einmal mehr erstaunlich, wie souverän der Regisseur etwa das verfemte Genre der "Talkshow" 'beherrscht', indem er Redezeit mit zum Teil fast schon dadaistischen Wiederholungen an sich reißt. Und noch erstaunlicher ist es, dass die Bilder vom Container und seinem Umfeld im Unterschied zu anderen "Dokumenten" zur österreichischen Lage bis dato nicht gealtert sind - einfach weil sie über allgemeingültige Maßverhältnisse und ihre Deformation erzählen.

Komplizierte Fragestellungen gibt der mediale Reißwolf nur verstümmelt wieder. Aber über plakative Signale gelangt er zu erstaunlich komplexen Kompositionen. Und: Was in Wirklichkeit notdürftigste Sperrholzkulisse ist, kann über die mediale Verstärkung staatstragend und Ereignis sein. Das ist bei Debatten über Möllemann oder Walser nicht anders als damals bei Ausländer raus!

Jeder, der schon einmal bei einer Schlingensief-Aktion "live" zugegen war, weiß: Vor Ort mutet sie ärmlich, ja, kläglich an. Erst durch die Bilder und Berichte, die über sie in Umlauf gebracht werden, beginnt sie zu "strahlen" - kein Wunder, dass der Container mitunter mit einem Reaktor verglichen wurde. Anders aber als andere Mediatoren und Manipulatoren, die im Strahlen gleichsam die jämmerlichen Ursprünge ausblenden, führt Schlingensief noch einmal die Beschädigung ins Treffen. Er beginnt sich selbst zu bezichtigen, und auch hier schreiben die Medien brav mit.

Paul Poets Film wird dem wie gesagt nur sehr bedingt gerecht. Zweifelsohne ist es ein Verdienst, die wenigen "offiziellen" Bilder, die es von Ausländer raus! gibt, "gerettet" zu haben. Andererseits wäre es aber besser gewesen, wenn Schlingensief selbst in das Hohelied, das diese Bilder jetzt auf ihn und auf sich selbst singen, hinein"gehackt" hätte. Sein Container-Film wäre sicher brüchiger, fragmentierter, zwiespältiger geworden. Und er hätte mehr über Referenzen erzählt: nicht zuletzt zu alltäglichem TV-Trash, in dem man sich auch erst zurechtfinden muss, um gewisse "Ereignisse" oder "Debatten" in ihrer Wertigkeit richtig einzuschätzen. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.6.2002)