Asien & Pazifik
Loya Jirga: Uraltes Ritual für demokratischen Neuanfang
Teilnehmer werden nach ausgeklügeltem Verfahren ermittelt
Gul Bahar - Zum ersten Mal seit 25 Jahren soll in
Afghanistan die traditionelle Stammesversammlung Loya Jirga - ein
traditionelles Forum zur Krisenbewältigung, wo Streitfragen in
Debatten gelöst wurden - zusammentreten, um eine neue
Übergangsregierung zu bestimmen. Für den demokratischen Neuanfang des
Landes am Hindukusch wurde ein uraltes Ritual gewählt, für das vom
10. bis zum 16. Juni rund 1.500 Vertreter aus ganz Afghanistan in der
Hauptstadt Kabul zusammenkommen werden. Auf der Loya Jirga ruhen
viele Hoffnungen: Die zu wählende Übergangsregierung soll binnen zwei
Jahren demokratische Wahlen ansetzen und damit den ersten Schritt bei
der Wiederherstellung funktionierender politischer Strukturen tun. Die umfangreichen Vorbereitungen für das Treffen laufen bereits
seit Mitte April. In einem ersten Schritt trafen sich die
Dorfvorsteher in jedem der insgesamt 381 Bezirke und nominierten ohne
formelle Abstimmung jeweils 20 bis 60 Vertreter. Diese Wahlmänner
bestimmen dann einen oder mehrere Delegierte für die Loya Jirga. Zur
Wahl stellen kann sich jeder Afghane, der älter als 22 Jahre ist,
keiner terroristischen Vereinigung angehört und keine
Kriegsverbrechen begangen hat. Genau 1051 Delegierte sollen auf diese
Weise in die Loya Jirga gewählt werden.
Feste Quote
Weitere 450 Teilnehmerplätze werden nach festen Quoten vergeben.
So darf die derzeitige Übergangsregierung 53 Vertreter entsenden, die
afghanischen Flüchtlinge, die vor allem im Iran und Pakistan Zuflucht
gefunden haben, stellen zusammen 100 Delegierte. Zivile Einrichtungen
sollen durch 51 Gesandte vertreten sein, die Nomaden werden von 20-25
Delegierten repräsentiert. Für Frauen sind 160 Plätze reserviert.
Quoten gibt es auch für Auslands-Afghanen und Geschäftsleute.
Verdienten Politikern, Ärzten und Künstlern werden ebenfalls Plätze
eingeräumt.
Die UNO-Unterstützungsmission in Kabul (UNAMA) war nach der Bonner
Afghanistan-Konferenz mit der Vorbereitung der Loya Jirga beauftragt
worden. Die Vorauswahl für die Loya Jirga unter internationaler
Beobachtung und unter Berücksichtigung der ethnischen Zusammensetzung
der Bevölkerung sollte bis zum 6. Juni abgeschlossen sein. Die UNO
richtete dazu Stützpunkte in den acht größeren Städten des Landes
ein. Für potenzielle Kandidaten wurden genaue Kriterien festgelegt.
Am kommenden Montag wird der ehemalige afghanische König Mohammed
Zahir die Versammlung feierlich eröffnen, deren Ablauf von der UNO
überwacht werden wird. Traditionell wurde die Loya Jirga vom
Staatsoberhaupt einberufen; sie berät in entscheidenden Phasen des
Staates über Fragen der Verteidigung, Unabhängigkeit, der
Friedenssicherung, der Staatsführung und gesellschaftlichen
Entwicklung. Der erste Große Rat trat 1747 unmittelbar nach der
Staatsgründung zusammen. Die Delegierten ernannten damals den
Paschtunen Ahmed Schah Durrani zum ersten afghanischen König, einen
Vorfahren von Zahir Schah. Der 87-Jährige war 1973 gestürzt worden
und erst vor wenigen Wochen aus dem römischen Exil zurückgekehrt. (APA/dpa)