Luxemburg - Kaum verklausulierte Angriffe gegen Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und ein klares Bekenntnis zum EU-Stabilitäts-und Wachstumspakt formulierte am Dienstag Finanzminister Karl-Heinz Grasser in Luxemburg. Der FPÖ-Politiker äußerte sich am Rande des EU-Wirtschafts- und Finanzministerrats besorgt über Frankreichs und Portugals Haushaltsprobleme. Lissabon könnte für 2001 die Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) überschreiten, Paris dürfte 1,5 Prozent erreichen und 2002 wohl auf zwei Prozent kommen. Ein "verheerendes psychologisches Signal" wäre für ihn, so Grasser, eine Verschiebung des Ziels, im Jahr 2004 in allen EU-Staaten ein ausgeglichenes oder nahezu ausgeglichenes Budget zu erreichen. Grasser verband dieses Bekenntnis mit einem kaum verdeckten Angriff auf Chirac. Es spreche nicht für Verlässlichkeit, wenn dieser beim Europäischen Rat in Barcelona im März das Konsolidierungsziel für 2004 mit bestätigt habe, dann im Wahlkampf aber andere Signale gebe. "Mindesmaß an Vertrauen" Er habe "ein Mindestmaß an Vertrauen in politische Repräsentanten". Aber falls sich die Haltung von Paris ändern sollte, "dann muss ich mich ehrlich fragen, was Beschlussfassungen von Europäischen Räten noch für einen Wert haben", so Grasser. Auch Chirac selbst müsse ein Interesse an seiner Glaubwürdigkeit haben. Er sei aber sicher, dass Paris seine Position zum Budgetziel beibehalten werde. Aufgrund des "Kassasturzes", den die französische Regierung derzeit vornimmt, verhinderte Paris beim Ecofin-Rat in Luxemburg auch die Verabschiedung der "wirtschaftspolitischen Leitlinien". Diese sollen allerdings noch vor dem Europäischen Rat von Sevilla am 21. Juni von den Finanzministern beschlossen werden. Deutschlands Finanzminister Hans Eichel äußerte dazu in Luxemburg Verständnis für Frankreich. Es sei fair, den neuen Regierungen eine Überprüfung ihres Haushalts zu erlauben. Grasser wiederum wehrte sich gegen Versuche, die Stabilitätskriterien an sich zu ändern. Einen entsprechenden Vorstoß Londons, das Investitionen nicht in seine Defizitberechnung inkludiert sehen will, lehnte er ab. (jwo, DER STANDARD, Printausgabe5.6.2002)