Malmoe: "Zur Lage" ist der einzige Langfilm, der sich nach der schwarz-blauen Regierungsumbildung Erkundungen zum politischen Alltag zur Aufgabe gemacht hat. Was war eure Intention? Barbara Albert: Nach dem Regierungswechsel war für mich klar, dass dieser unbedingt eine Reaktion erforderte. Ich wusste allerdings nicht genau, wie: Wie konnte ich mich außer an Demos gegen die Regierung teilzunehmen, sonst noch artikulieren? "Zur Lage" sollte die Wiedergabe von vier Blicken, von vier Realitäten sein. Den Film zu mehreren zu machen, hat sicherlich den Druck von mir genommen, das ultimative Statement liefern zu müssen. Als ich mir ein Konzept überlegte, musste ich für mich aber erst ein paar grundsätzliche Dinge klären: etwa, wann ein Film politisch ist, und auch, was ein Film eigentlich bewirken kann. Während meiner Diskussionen mit Kreativen zeigten sich bereits sehr unterschiedliche Ansichten. Während ich meinte, man muss den Kontakt zu den Leuten suchen, in die Gemeindebauten gehen, hieß es oft: Ja, glaubst du, du kannst die Menschen ändern? Malmoe: Das spiegelt auch das Manko von "Zur Lage" wider. Leider bleiben die Beiträge von Glawogger, Seidl und Sturminger sehr in einer reinen Deskription verhaftet, zeigen zudem nur wenige aktuelle politische Bezüge auf. Barbara Albert: Darüber solltest du dich mit ihnen unterhalten. Aber sicherlich ist der Film nicht in der Tradition politischer Filmemacher gedreht. Wir hatten nicht den Anspruch, die Welt zu ändern, sondern wollten uns einmal ansehen, was die Menschen in diesem Land heute sagen. Diesen Ansatz kann man mögen oder auch nicht. Malmoe: Jedenfalls hast du als Einzige Querverweise und Parallelen hergestellt, etwa durch die Gegenüberstellung auffällig autoritätshöriger Frauen mit Demo-Teilnehmerinnen und auch Migrantinnen. In den Erzählungen kristallisiert sich sehr gut heraus, wie aus einer Situation der Schwäche ganz unterschiedliche Strategien des Politischen erwachsen können. Barbara Albert: Nun, einigen war mein Beitrag zu intervenierend, zu sehr mit erhobenem Zeigefinger gestaltet. Aber ich finde es tatsächlich schockierend, dass fast alle Frauen schwere Schicksalsschläge hinter sich haben: durch den Tod enger Verwandter oder etwa schon als Mädchen durch eine schwere Herabwürdigung durch den Vater. Harsche Statements wie jenes, dass man die Leute doch zum Arbeiten zwingen müsse oder auch die Haltung einer totalen Autoritätshörigkeit haben natürlich mit dieser Sozialisation zu tun. Malmoe: Wie hat sich so etwas auf dein Verständnis ausgewirkt? Barbara Albert: Ich habe gegenüber den Frauen interessanterweise große Sympathien entwickelt, egal welche politische Partei sie wählen. Ich empfinde es deshalb auch eine ziemlich arrogante Haltung zu sagen: "Die FPÖ-WählerInnen sind eh dumm, deswegen setzen wir uns mit denen gar nicht auseinander." Malmoe: Wie lässt sich die Trennung zwischen persönlicher Sympathie und politischer Aussage schließlich vereinbaren? Letztlich ist doch jede/r für den eigenen Mangel an Selbstreflexion und Kritik auch verantwortlich. Barbara Albert: Ja, natürlich. Mir gehts darum zu betonen, dass man mit diesen Leuten sehr wohl reden kann und muss. Auch wenn ich das im Film selbst unterlassen habe, weil es als Filmemacherin nicht meine Rolle ist, etwas dagegen zu halten, wenn eine Frau sagt, sie wählt den "Jörgl". Zumindest wäre das eine andere Form des Filmemachens. Malmoe: Was wolltest du also herausarbeiten? Barbara Albert: Dass viele Frauen sich überhaupt nicht politisch verantwortlich fühlen, auch etwas beizutragen, sich einzumischen. Viele glauben, sie sind ein Opfer, oder aber, dass es eben die Aufgabe der Politiker oder sogar der Männer ist, zu entscheiden. Sie selbst beschränken sich auf den Standpunkt: "Ich übernehme die Verantwortung für mein Kind." Diesen Mechanismus verstärkt durch Desinteresse finde ich doch sehr erschreckend. Malmoe: Wie wichtig war es dir, emanzipatorisch zu wirken? Barbara Albert: Für mich war es wichtig, Frauen mit ganz unterschiedlichen Ansichten zu portraitieren. Manche haben gar keine Visionen oder sehr negative. Für mich persönlich ist das etwas ganz Schreckliches, ich bin mit dem Gedanken groß geworden, dass es eine linke Utopie gibt. Meine Eltern waren gegen Zwentendorf, mein Vater ist Biologe, der war als Aktivist auch in Hainburg und hat uns als Kinder überzeugen müssen, dass wir dorthin kommen und dort übernachten. Die Idee des "Gemeinsamen" hat mich sicherlich stark geprägt. Das mag ein sehr naiver Ansatz sein, aber es muss positive Utopien geben. Malmoe: Der Film endet mit einer von Ulrich Seidl gedrehten minutenlangen Schimpftirade eines Ehepaares beim Heurigen. Sie verlangen die Ausrottung von Juden, von Muslimen, die Einführung des Denunziantentums. Worin liegt deiner Meinung nach der Sinn dieser Episode? Barbara Albert: Das Heurigenpärchen ist sicherlich ein Schock für viele Leute ... Malmoe: ... aber die es angeht, werden ihn nicht erleben wollen. Barbara Albert: Das ist ein Problem, über das wir uns lange unterhalten haben. Immerhin wird der Film im Fernsehen laufen, also doch einem breiteren Publikum die Möglichkeit bieten, sich damit auseinanderzusetzen. Aber abgesehen davon finde ich die Empörung wie etwa bei der Diagonale doch erstaunlich. Da fragte etwa eine französische Journalistin, ob es wirklich so schlimm in Österreich ist und was für arge Leute hier leben würden. Ich kann den Schock und die Empörung nicht ganz so nachempfinden. Es hat doch jeder Mensch Eltern, Verwandte oder Geschwister, die so oder so ähnlich reden. Das ist Alltag. Man braucht doch nicht so naiv sein und glauben, die Welt ist nur so, wie man selber ist. Das Interview führte Gunnar Landsgesell.