Wien
Kala Azar: Mehr Behandlung für Hunde als für Menschen
Millionen Menschen sterben, weil sie keine Arzneien bekommen - die Medikamente sind zu teuer oder werden nicht produziert
Wien - Michael hat eine eigroße Narbe am Bein.
Es begann, nachdem der 38-Jährige von seinem
Karibikurlaub auf Grenada nach Wien zurückgekehrt war: "Wie ein Mückenstich", erinnert
er sich, "es juckte, ich kratzte. Dann war die
Stelle offen, nässte, wurde größter und heilte
nicht mehr zu." Drei Hautärzte in Wien waren
ratlos, erst auf der Dermatologie im AKH wurde
ihm die Diagnose gestellt: Leishmaniose, übertragen von einer Sandfliege, die in tropischen
wie gemäßigten Klimazonen heimisch ist.
Michael hatte verdammt großes Glück: Er infizierte sich mit der harmlosesten Form dieser
laut Ärzte ohne Grenzen von der Pharmaindustrie mangels Profitaussichten "vergessenen
Krankheit". Nach schmerzhaften Biopsien und
drei mühsamen Behandlungsmonaten gilt der
Journalist heute als geheilt. Weltweit leiden
zwölf Millionen Menschen in 88 Ländern an
Leishmaniosen, jedes Jahr gibt es zwei Millionen Neuinfektionen - und 500.000 Todesopfer.
Je nach Erreger äußert sich die Krankheit in einfachen Hautgeschwüren
oder in großflächigen Vernarbungen, die Betroffene Zeit ihres Lebens entstellen. Die viszerale Leishmaniose hingegen,
auch Kala Azar ("schwarzer
Tod") genannt, befällt den gesamten Organismus: hohes
Fieber, Gewichtsverlust, Milzvergrößerung, Immunschwäche. Unbehandelt führt sie fast
immer zum Tod. 90 Prozent
der Kalar-Azar-Fälle treten in
Bangladesch, Brasilien, Indien, Nepal und im Sudan auf. In Südeuropa
werden jährlich mehr als 1500 Fälle gezählt.
Nach Ende der Kolonialzeit hatte die Pharmaindustrie kaum noch Interesse an der Entwicklung neuer Medikamente, stellten die verarmten Zielländer doch keinen profitablen
Markt dar. So wird Kala Azar heute noch behandelt wie 1950, mit Pentostam, das bei zehn
Prozent der Patienten zu schweren Nebenwirkungen führt, nicht selten
auch zum Tod. Kosten pro Behandlung: 200 Euro - für die
meisten Betroffenen zu teuer.
Daher wird die Arznei nicht
oder zu kurze Zeit eingenommen, was zu einer dramatischen Zunahme an Resistenzen führt - was nicht nur in
Entwicklungsländern ein zunehmendes Problem darstellt.
Auch Hunde erkranken an
Leishmaniosen, daher werde
laut Ärzte ohne Grenzen das meiste Geld, das
zur Behandlung dieser Krankheit investiert
wird, in Tiermedikamente gesteckt - die dank
großzügiger Fürsorge der Hundehalter in den
Industriestaaten auch reißenden Absatz und
Anwendung finden. Bei Menschen, die vom
gleichen Erreger befallen werden wie die behandelten Hunde, nützen die Medikamente oft nichts mehr. (fei/DER STANDARD, Printausgabe, 3.6.2002)