Zwölf Kapitel aus den Randzonen einer globalisierten Welt: Nikolaus Geyrhalters Dokumentarfilm "Elsewhere" erstellt ein Panoptikum des Alltags minoritärer Lebensweisen.

Von Dominik Kamalzadeh


Wien - Das Land ist entgegen allem Anschein bereits besiedelt. Zunächst ist in der Totale nur eine endlose Schneelandschaft zu sehen. Es verstreichen etliche Sekunden, bis schließlich ein von Hunden gezogenes Boot das Bild erreicht und horizontal durchquert. Ein anderer Monat, ein anderer Teil der Welt: Mitten im Dschungel von Irian Jaya in Indonesien kracht ein Baum zusammen. Er wird in etliche Teile zerlegt und dient dem dort lebenden Volk als Grundlage für ein Baumhaus.

Man schreibt 2000, ein für die westliche Welt symbolisches Jahr, das sich in diesem Film allerdings als unerheblich erweist. Nikolaus Geyrhalter hat in seinem Dokumentarfilm Elsewhere zwölf entlegene Regionen der Erde aufgesucht, jeden Monat eine andere, und die dort lebenden Menschen bei ihren alltäglichen Verrichtungen beobachtet. Zwanzig Minuten widmet sich der Film nun je einem Monat - das ergibt eine insgesamt vierstündige Odyssee.


Bereits der Titel deutet die Offenheit des Konzepts an: Anderswo bedeutet in Elsewhere nicht die Beschränkung auf indigene Völker, nicht auf eine Welt, die sich nur über den Gegensatz zur westlichen bestimmen ließe. Es handelt sich eher um eine Spurensuche nach autarken Lebensformen, jenseits, am Rande, teilweise inmitten einer globalen Kultur. So findet sich denn auch ein sardischer Fischer im Film oder ein finnischer Rentierzüchter.

Wie bereits in Geyrhalters früheren Filmen, Das Jahr nach Dayton und Pripyat, entfaltet sich in der Dauer das eigentliche Drama. Die statischen, symmetrisch komponierten Einstellungen gewähren dem Raum und den Menschen ein beträchtliches Maß an Zeit. Die Aufnahmen gleichen bisweilen Tableaus, die vor allem anderem an die Schaulust appellieren - nicht ganz unähnlich der Landschaftsarchäologie des US-Filmemachers James Benning.

Andererseits steht bei Geyrhalter stets der Mensch im Zentrum. Dessen Bewegungen sind es auch, die der Film mitvollzieht, ob mit einem Kamel durch die Sahara, mit dem Boot oder auch zu Fuß. Die Episoden verbinden Themen wie Arbeitsprozesse, Jagd und Ernte, dann gilt das Interesse wieder den gesellschaftlichen Strukturen - von Vielehe bei den Himba in Namibia bis zu einem matriarchalischen Modell in China.


Ziel ist keineswegs, diese Aspekte erschöpfend zu behandeln. Vielmehr geht es um ein impressionistisches Sehen, welches das "Fremde" nicht zum Spektakel erheben will. Die Kamera gleicht dabei manchmal einem Monolithen, der ein Verhalten herausfordert, wobei von den Porträtierten inszenierte Momente nicht ausbleiben: Ein Himba lässt sich ausnahmsweise von seiner Frau einsalben; im äußersten Fall, in China, stellt sich gar heraus, dass niemand hinter der Kamera steht.

Es sind solche Stellen, die Elsewhere vor dem starren Subjekt-Objekt-Verhältnis bewahren, das ethnografischen Arbeiten oft zum Problem wird. Geyrhalter greift nicht sichtbar in das Geschehen ein, verzichtet auf jeden Kommentar - aus den Interviewpassagen, den räumlichen Beziehungen und der Dramaturgie der Montage (Wolfgang Widerhofer) entscheidet sich der erzählerische Kurs.

Dieser lässt sich als einer der graduellen "Verschmutzung", der Durchdringung der porträtierten Kulturen mit westlichem (Gedanken-)Gut verstehen: "Christmas-Drops" über einer mikronesischen Insel, Fischeinkäufe von Inuit im Supermarkt, bis zu Native Americans, deren Kultur zur Folklore verkümmert ist. Das "Empire" wächst, oder wie es ein Tuareg ausdrückt: "So ist die Welt. Sie ändert dauernd ihre Richtung." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. 5. 2002)