Bild nicht mehr verfügbar.

Life-Ball-Vater
Gery Keszler

APA/HANS KLAUS TECHT

Trendforscher
Andreas Reiter

Standard/Rudolf Semotan
Natürlich ist das jetzt eine unpassende Behauptung. Und natürlich ganz leicht zu widerlegen. Nicht erst kommenden Montag, sondern schon jetzt. Weil zehn Jahre Erfahrung für sich sprechen. Und täten die es nicht, stünden eine Million Medienberichte, zigtausend verzweifelt und vergeblich um Karten rennende Wannabe-Ballgäste und Hunderte devot klinkenputzende Sponsoren bereit, um durch ihre bloße Existenz das Gegenteil zu belegen. Trotzdem: "Der Life Ball wird sich etwas einfallen lassen müssen, um nicht an Attraktivität zu verlieren", meint Andreas Reiter. Nicht, dass Reiter sich an Wiens bekanntester Party stieße. Nicht, dass er sich je im wüst-schrillen Treiben in und um das Rathaus gelangweilt hätte. Nicht, dass er gegen den ersten und zweiten Sinn der Veranstaltung (nämlich Spenden für Aids-Projekte zu sammeln und Bewusstseinsarbeit für andere Lebens- und Liebesformen zu leisten) auch nur die Spur eines Einwandes vorbringen wollte. Und schon gar nicht, dass er eine Idee hätte, wie man Gery Keszlers Charity-Rambazamba noch medienwirksamer, schriller, lustiger, lukrativer oder bekannter machen könnte. Nichts dergleichen. Dennoch gibt der Trendforscher die Kassandra: "Die Kippe ist überschritten. Die Zeit des Körper-Eventismus ist eigentlich schon im Abklingen." Freilich: Die Gefahr, dass Gery Keszlers "Opernball der arrivierten Subkultur" (Reiter) in den nächsten Jahren in puncto Strahlkraft oder Besucherinteresse zu leiden haben könnte, glaubt auch der Forscher vom Wiener Zukunftsbüro ZTB nicht: "Der Life Ball ist mittlerweile ein unverzichtbarer Bestandteil des Citymarketings geworden. Das hat Wien mittlerweile ganz gut überrissen." Vom Stadtmarathon bis zur Regenbogenparade, so der Trendforscher, reiche das Spektrum jener "Body-Events", mit denen heute ein per definitionem junges, aufgeschlossenes und auch finanziell gut ausgestattetes Publikum angesprochen werden soll. "Die Besetzung des öffentlichen Raumes durch den Kult des inszenierten Körpers hat maßgeblich zur Belebung der Städte beigetragen", konzediert Reiter - bloß habe die Sache auch einen Nachteil: "Irgendwann kannibalisieren sich all diese Veranstaltungen." Schließlich gelte es, ein durch die Mechanismen der Eventgesellschaft verwöhntes und immer rascher übersättigtes Publikum bei Laune zu halten - und die Erwartungshaltung sei eben immer eine Funktion aus dem zuletzt Erlebten plus ordentlichem Zusatzthrill. Gerade die Geschichte des Life Balles könne hier als Referenzmodell dienen: Von einem relativ kleinen, relativ intimen Szeneevent, von dessen Wiederholung auch nur zu träumen beim ersten Mal als Vermessenheit gewertet worden wäre, wuchs die Aids-Charity-Festnacht im Laufe der Jahre nicht nur in organisatorischer und ertragstechnischer Hinsicht auf ein Vielfaches ihrer Ursprungsgröße an: Auch der besetzte Raum vergrößerte sich. Von den Festsälen des Rathauses auf den Arkadenhof und den Rathausplatz - und sogar zu Ableger-Festen (etwa in Lech am Arlberg), Begleitveranstaltungen (rund um den Kartenverkauf) und einem längst als Fulltime-Werbeträger der Marke Life Ball durch die Welt ziehenden Ballvater Gery Keszler. Dessen größte Angst besteht im Übrigen weniger darin, einmal seinen Top Act nicht mehr toppen zu können (Reiter: "Das Elton-John-Prinzip lässt sich perpetuieren, aber nicht ändern"), als irgendwann einmal die de facto längst als fixer Bestandteil der Aidshilfe- und -präventionsarbeit betrachteten Life-Ball-Erlöse nicht mehr einzuspielen: Die Schickeria, ist Reiter dagegen überzeugt, sieht den Ball längst als sexy Partynacht mit jeden Exzess entschuldigender Nebenfunktion - und so sehr Gery Keszler auch versucht, den eigentlichen Sinn der Veranstaltung zu betonen, sei doch klar: "Die Botschaft ist mittlerweile angekommen - und gegessen." Nicht zuletzt, weil "das Ich als Großbaustelle" in den vergangenen Jahren so umfassend zelebriert wurde, dass "Schrill-und Schwulsein mittlerweile ein großes Stück normaler ist, als es es vor zehn Jahren noch war." Ein Stück Alltagstoleranz, das ganz ursächlich mit dem gesellschaftlichen Wirken von Keszler & Co zusammenhänge. Nur: "Wenn es keine Tabus mehr gibt und alles gleich gültig ist, ist das irgendwann gleichgültig." Davon sei aber nicht bloß der Life Ball betroffen: "Der Trend in der Eventgestaltung geht nach innen, das reicht von Lebenskunst bis zum Genetic Engineering. Piercing kratzt heute wirklich niemanden mehr." Den Life Ball neu erfinden solle man dennoch nicht, meint der Zukunftsforscher: "Eine totale Reduktion oder eine drastische Ortsänderung - St. Pölten oder ein noch kleinerer Ort, gerade weil das dort so undenkbar wäre - würden zwar einen neuen Kick bringen, aber andererseits die Marke zerstören. Aber das Jubiläum sollte dennoch Anlass sein, die Idee ganz grundsätzlich zu überdenken." Die Idee, Ort, Zeit oder Setting zu verändern, lässt Marketingstrategen allerdings die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. "Der Life Ball", referiert etwa Christian Mikunda, "ist längst Teil des Community-Feelings in Wien geworden." Der weltweit gefragte Berater für die emotional und psychologisch ideale Dramaturgie von Einkaufszentren, Geschäftszonen und (halb-)öffentlichen Räumen glaubt, dass es kein Zufall ist, dass "meine Frau zu Frühlingsbeginn sagt: 'Jetzt müsste doch bald der Life Ball sein.'" Stars, Glamour und Glitter im Inneren des Rathauses wären, so Mikunda, tatsächlich ein Spektakel, das den saisonalen Geschmacks- und Modeschwankungen einer "sich selbst als alternativ, progressiv und meist links sehenden Elite" unterworfen sei. Die Verankerung im Eventjahreszyklus der Bevölkerung erhebe den Ball aber zu einem Ritual, das seinen fixen Platz in der Mind-Map der Bevölkerung hat - und somit fast sakrosankt ist. Ausschlaggebend sei die Erweiterung des Balles auf den Rathausplatz gewesen. Damit stehe der Life Ball nämlich einerseits in einer Reihe mit Veranstaltungen wie dem Christkindlmarkt, dem Sommerkino oder dem Eistraum, die aus dem Wiener Kalender nicht mehr wegzudenken seien. Andererseits, so Mikunda, schließt der Ball damit fast nahtlos an die Tradition historischer - tatsächlich barocker - Opulenz-Festivitäten der Nobilität vor dem Volk an: "In Rom wurde jahrzehntelang im Sommer die Piazza Navona geflutet. Das Volk durfte dem Adel dann zusehen, wie er sich selbst dort inszenierte und zur Schau stellte." Mikunda sieht diesen Historienvergleich gar nicht negativ: Das Defilwe am Platz zu sehen - und sei es aus der vorletzten Reihe - sei eine "Seelenmassage für zwischendurch", die auch belege, dass das öffentliche Leben dort am angenehmsten sei, wo es an einem der vom ihm stets als "Dritten Ort" definierten Plätze stattfindet: "Der erste Ort ist die eigene Wohnung. Wenn die eingerichtet ist, verschönt man den Arbeitsplatz - und zuletzt wird der öffentliche oder halböffentliche Raum gestaltet. Wer hier punktet", so Mikundas Credo, "hat gewonnen - egal, ob als Eventveranstalter oder Kaufmann." Das Problem, diesen Ort mit immer neuen Effekten und Höhepunkten zu besetzen, das Reiter dem Life Ball und auch anderen Großevents mittelfristig prophezeit, sei dadurch und durch die Ritualisierung des Balles zwar abgeschwächt, aber doch vorhanden, bestätigt aber auch Mikunda: "Die Leute wollen heute Nachhaltigkeit statt Drag Queens. Nicht Eskapismus und Schrillheit, sondern Wohlfühlfaktoren und Mood-Management treten immer mehr in den Vordergrund. Der Plafond ist zwar nicht ganz erreicht, aber die Eventgesellschaft ist erwachsen geworden." derStandard/rondo/17/5/02