Als Filmschauspieler und Romanautor erfindet sich gegenwärtig der deutsche Modedesigner-Star Wolfgang Joop neu. Im Gespräch mit Doris Krumpl erzählt er über die depressive Spaßgesellschaft und gefährliche Beschleunigungen.


Wien - In der Paris Bar in Berlin kamen sie ins Gespräch: der vor allem als Modeschöpfer, aber auch als Verfasser scharfzüngiger Spiegel-Essays über die Modebranche bekannte Wolfgang Joop und Regisseur Oskar Roehler (u.a. Die Unberührbare mit Hannelore Elsner). Roehler besetzte den 1944 in Potsdam geborenen Designer, dem seit dem Vorjahr die Marke Joop! nicht mehr gehört, als Psychiater Dorian in seinem neuen Trashfilm Suck My Dick.

In dieser über lange Strecken amüsanten Gesellschaftssatire verliert ein Schriftsteller, der gern den "Kollegen Houllebecq" zitiert, über Nacht seinen Penis, seine Haare und seine Zähne - erzählt wird also eine Geschichte über Männlichkeitsmythen und Kontrollverlust.




Joop:
Ich habe mir meine eigenen Regieanweisungen gegeben. Und als "Gegenspieler" des Hauptcharakters Dr. Jekyll (Edgar Selge) habe ich mich bewusst zurückgenommen. Manche sagen, ich hätte nicht gespielt. Bei einer Szene in der Kunstgalerie, wo ich schreie, da meinten viele, das sei großartig. Aber gerade das Reduzierte ist viel schwieriger.

STANDARD: Was hat sich seit diesen Erfahrungen geändert?

Joop: Ich habe meine Unschuld verloren, wenn ich ins Kino gehe. Ich achte nur mehr auf Anschlussfehler und solche Dinge und kriege die ganze Story schon nicht mehr mit. Wir hatten eine Dame, ich nannte sie die Anschlusstussi, die nur auf diese Details achtete, ob beim nächsten Dreh etwa die Finger dort lagen, wo sie früher waren.

STANDARD: Roehlers Film persifliert die Probleme des heutigen Mannes in einer gleichmacherischen Gesellschaft.

Joop: Einer zunehmend homosexualisierten Gesellschaft, wie ich meine. Der feminine Mann, das maskuline Mädchen ist das Image du Jour. Die Frauen trainieren sich im Studio einen Bauch an, den sie auch aus genetischen Gründen nicht haben können. Selbst Ralf Schumacher und Boris Becker färben sich die Haare. Kürzlich traf ich Becker und fragte ihn: Was ist los? Bist du aus Kummer über Nacht blond geworden?

STANDARD: Suck My Dick wird als eine Farce tituliert. Tat es Ihnen gut, nach den Erfahrungen im Modebusiness endlich in einer gestellten, nicht realen Farce zu spielen?

Joop: Ja. Durch meine nicht ganz freiwillige Unterbrechung im Modebereich, wo ich ja quasi hinausgekauft wurde, musste ich mich anderweitig orientieren. Urlaub käme mir vor wie Verbannung. Also Film, und jetzt ein Roman. Es gibt regelrechte Gedankenstaus, wo diese bösartigen Figuren, die man erfindet, dich fertig machen: "Nein, das sage ich nicht."

STANDARD: Im Film wird erwähnt, dass Sie als Psychiater schon Uwe Johnson von Schreibhemmung kuriert hätten. Vielleicht brauchen Sie selber einen Psychiater?

Joop: Sie haben völlig Recht. Eigentlich dürfte man in meinem Alter nur in den Krieg gehen, wenn man weiß, dass man gewinnt. Ich weiß es nicht. Schon nach dem Film gab es Reaktionen: Man findet sich nicht zurecht, weil man mich nicht einordnen kann. Man muss in Deutschland so eindeutig wie möglich sein.

STANDARD: Oder sich permanent verwandeln wie Madonna.

Joop: Sie tut das aber nur in 5-Minuten-Clips. Wenn die länger waren als fünf, dann hat man sie auch zerrissen. Ich war immer eine Minute zu lange da, in jeder Beziehung.

STANDARD: Es scheint, Sie werden im Laufe der Zeit immer lockerer und frecher. Sie haben ja auch Christoph Schlingensiefs "Chance 2000" finanziell unterstützt.

Joop: Mich beeindruckt die Meinung der anderen Leute über mich immer weniger. Schlingensief hat es einfacher, seine Arbeit ist vielen nicht so zugänglich. Bei Mode, da glaubt jeder, mitreden zu können. Modedesigner sind Allgemeingut geworden.

STANDARD: Haben Sie sich schon die Schiele-Bilder im neuen Leopold-Museum angesehen?

Joop: Ja, mir scheint, die Gemälde wirken etwas verloren in diesem monumentalen Gebäude. Schiele ist mein Alter Ego, der erste Punk. Ich habe ihn verinnerlicht: Von allen Stilen kann ich am leichtesten Schiele imitieren.

STANDARD: Im Film geht's ja auch der Kunst an den Kragen, der fotografischen Sozialpornografie. Da stellt eine Künstlerin Fotos aidskranker Männer aus, mit denen sie geschlafen hat.

Joop: In meinem Buch lasse ich einen Fotografen Folgendes sagen: "Wahre Schönheit heute ist wesentlich aggressiver und avantgardistischer als die Bilder von Nan Goldin" - weil die Schönheit verletzender ist. Er sagt weiter: "Das ist doch sehr, sehr Neunziger." Dazu gehört Helmut Lang, wo man versuchte, mit Reduktion und Purismus eine Antwort auf die 80er zu geben. Das ist uns heute egal. Im Gegenteil, man findet heute das "ein bisschen zu viel" der 80er ganz amüsant. Dass Helmut Lang zu einer Jenny Holzer mutiert und umgekehrt, das finde ich heute pathetisch.

STANDARD: Erzählen Sie etwas über das Buch.

Joop: Es ist eine Tragikomödie: Dafür habe ich - neben Ausschnitten aus US-Leserbriefen, eine herrliche Quelle - authentische Zitate aus der Modeszene benutzt. Die Schnelligkeit als ästhetische Dimension kommt ja heute dazu - wie schnell die Kriege sind, die Autos etc. "Wenn ich ein Foto durch den Computer jage", lasse ich einen Protagonisten sagen, "kann der Betrachter dieselbe Ästhetik fühlen, wie der Betrachter, der den Golfkrieg gesehen hat."

STANDARD: Mode, sagten Sie, sei heute längst nicht mehr Gradmesser gesellschaftlicher Entwicklungen, kein Ratgeber als Zeitgeistindikator mehr.

Joop: Seit Mode so allübergreifend geworden ist, kam sie durch die Zeitgleichheit zum Stillstand. Alles existiert nebeneinander. Kein Trend kann den anderen ablösen. S TANDARD: Es ist wie im Film, der zeigt, wie man den Boden unter den Füßen verliert. Joop: Die Party ist zu Ende, obwohl die so genannte Spaßgesellschaft, eines meiner Lieblingswörter, eigentlich immer schon deprimiert wie kaum eine war. Die Männer im Film haben sich definiert über ihre Tools. Wenn ihre Werkzeuge weg sind, sind auch sie selbst nicht mehr da. Und den Filmschluss habe ich angeregt, in dem Sinn: Du bekommst die Dinge erst, wenn du sie nicht mehr willst. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 5. 2002)