Wien - Das blutgetränkte Hemd des Toten hängt im Freien zum Trocknen. Sobald es sich unter der Sonne gelb verfärbt hat und der Mond wieder voll ist, wird erneut jemand losziehen, um auch diesen Mord zu rächen - so verlangt es das Gesetz der Vendetta.

Scheinbar schon ewig bekriegen sich zwei Familien in Walter Salles' Behind the Sun/ Hinter der Sonne im brasilianischen Hinterland, eine Generation überträgt das Erbe auf die nächste. Die Zeit verläuft an diesem Ort in Zyklen, die Zuckerrohrbauern drehen sich unter brütender Hitze im Kreis - auch bei der Arbeit an einer Presse, die einem massivem Uhrwerk gleicht.

Um aber mit dieser Wiederholung des Immergleichen zu brechen, bedarf es des Bewusstseins über die eigene Misere: Eine Aufgabe, die in Behind the Sun dem kleinen Buben Pacu zufällt, dem Jüngsten der Familie. Er begleitet die Erzählung aus dem Off, und auch im Bild schreibt er an einer Gegengeschichte, mittels eines geschenkten Buches erträumt er sich eine andere Welt. Aber erst durch Tonho, seinen ältesten Bruder, wird die Fantasie real.

Ismail Kadarés Roman Der zerrissene April, die Vorlage für den Film, erzählt noch von einer Blutfehde in Albanien. Salles schien sie so archaisch wie archetypisch, sodass er sie auf seine Heimat Brasilien übertrug. Mit seinem preisgekrönten Roadmovie Central Station hatte er bereits vor drei Jahren seinem Land wieder zu einiger Präsenz im Weltkino verholfen.

Nun lassen sich zwar auch in Behind the Sun Charakteristika eines spezifisch lateinamerikanischen Stils ausmachen, ein Hang zum Karnevalesken, zum magischen Realismus: So setzt Salles in mehreren Szenen auf poetische Überhöhung und enthebt die Figuren kurz, auf der Schaukel oder am Seil, ihrer Schwerkraft und damit der Bürde ihres Daseins.

Foto: Buena Vista

Aber das Melodram, das mit plastischen Bildern, aus verwegenen Kamerawinkeln und in erdigen Farben heraufbeschworen wird, wirkt dennoch ortlos, abgeschottet von jeder geschichtlichen Realität. Das liegt wohl weniger an der Allgemeingültigkeit dieser Parabel, als daran, dass Pathos wie Metaphorik des vom US-Studio Miramax produzierten Films ganz auf die exotischen Bedürfnisse westlicher Zuschauer zugeschnitten sind:

Symptomatisch dafür ist ein Zirkuspärchen, dass Pacu und Tonho den Ausweg weist. In dessen folkloristischen Attraktionen findet Behind the Sun seine Entsprechung: Das kunstfertige Sinnesspektakel hat darin stets Vorrang gegenüber jeder politischen Haltung. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 4. 2002)