In den letzten Jahren reise ich durch die Welt - na gut, durch Westeuropa meistens - und führe Gespräche mit bestimmten Menschen zum Thema Krieg und Kunst, Krieg und Theater, Krieg und Krieg, Krieg und ich. Ich schäme mich deshalb ziemlich, aber ehrlich gesagt, eine solche Begegnung bringt so viel ein, wie meine Monatsmiete beträgt. Ich habe dieses amerikanische Syndrom - Angst, dass das Geld ausgeht - und fühle mich verpflichtet, fast alle diese Einladungen anzunehmen.

Und wenn ich dann in einer neuen Stadt vor neuen Menschen stehe, die einen Abend ihres Lebens geopfert haben, um jemanden wie mich zu hören, habe ich das unangenehme Gefühl, dass ich sie ständig enttäusche. Denn sie alle sprechen freundlich, höflich, ja fast ängstlich über mich, als versuchte ich die Welt zu retten. Sie sprechen über die Risiken, die ich auf mich nehme, über die Gefahr, der ich ausgesetzt bin, über den Wunsch, dass die Wahrheit siegen möge, und ich weiß nicht, was ich auf all das sagen soll. Denn nichts davon stimmt: War nie in Gefahr, und tapfer bin ich schon gar nicht.

Und die Menschen fragen, wollen meine Meinung über alles, über die Weltpolitik, die Globalisierung, die Lage in Exjugoslawien, den Krieg im Nahen Osten. Aber ich weiß nichts über all das. Ich habe eine Meinung, das stimmt, aber keine Kenntnis. Was die Sache noch schlimmer macht.

So bin ich nur dank dem Ort, wo ich lebe, auch offiziell ein professioneller "Beobachter" geworden, also ein Meinungsmacher. Also reise ich und unterhalte bei bezahlten Begegnungen das Publikum mit meinen Ansichten. Nicht nur zu den erwähnten Themen, sondern je nachdem, wo ich mich befinde, habe ich eine Meinung über das italienische Klima, die französische Küche, die amerikanische Mentalität. Ein erleichternder Umstand ist, dass es den Menschen im Publikum genauso geht wie mir: Sie haben einen Standpunkt, aber keine Kenntnisse.

Dieser Tage treibe ich mich in Italien umher (Ligurien hat ein weiches Klima, aber die Genueser sind verschlossene Menschen, danke der Nachfrage). Bei einem Ausflug nach Portofino (noch immer ein snobistischer Ort, danke der Nachfrage) sah ich in einer Bar eine blonde Frau. Die Art, wie sie posierte, wie sie tat, als sähe sie uns Touristen nicht, fesselte meine Aufmerksamkeit, und ich fragte die Gastgeber, wer sie sei. Sie erzählten mir eine interessante (echt italienische, danke der Nachfrage) Geschichte: Das blonde Starlet sei berühmt geworden durch die Bekanntschaft mit einer reichen Alten, die hier in Portofino auf tragische und mysteriöse Weise ums Leben gekommen war.

Die Polizei brauchte ein Jahr, um herauszufinden, dass sich hinter dem Mysterium nur ein Unglücksfall verbarg und niemand die reiche Alte ermordet hatte. Aber die einjährigen Ermittlungen hatten die Blondine als einzige Zeugin zum Star gemacht. Man lud sie zu gesellschaftlichen Ereignissen, Empfängen, Modeschauen und Fernsehsendungen ein, damit auch sie etwas sagte. So wurde die Frau, deren einzige Beschäftigung es war, Zeugin eines Unglücksfalls zu sein, zum Meinungsmacher: Sie hat über alles eine Meinung, sie redet über Wetter und Politik und Modetrends, kurz über alles, wonach man sie fragt.

Obwohl ich sicher bin, dass die Blondine viel höher als ich bezahlt wird, scheint mir, dass uns nur der Preis unterscheidet. Wie sie bin ich von Beruf nur Zeugin eines Massenunglücks. Was genügt, damit ich wieder eingeladen werde, um irgendwo irgendjemandem irgendetwas zu sagen. Erwarten Sie aber bitte nicht zu viel: Bin nur ein Meinungsmacher ...

(DER STANDARD, Printausgabe, 8.4.2002)