Foto: Standard/Cremer

Sie habe sich durch einige Bemerkungen von Bischof Krenn mehr verletzt gefühlt als durch die Zeichnungen von Gerhard Haderer, sagt Superintendentin Gertraud Knoll. Darüber und über das Verhältnis zur katholischen Kirche sprach sie mit Peter Mayr.

STANDARD: Am Wochenende wird das Osterfest begangen. Wer feiert überhaupt noch?

Knoll: Ostern wird auf verschiedenste Weise gefeiert: von der Freude über das Erwachen der Natur auf säkulare Weise bis zu den tiefsten, christlich geprägten Osterfesten, die zum Ausdruck bringen, dass diese gebrochene, voller Gewalt stehende Welt auf Auferstehung hofft.

STANDARD: Sie meinen also, es gibt noch genügend Gläubige?

Knoll: Es geht nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität. Die Zahl der gläubigen Menschen lässt sich nicht allein in kirchlichen Statistiken messen.

STANDARD: Also besser weniger, dafür echte Christen?

Knoll: Ich will das nicht werten, aber auch Ostern quellen die Kirchen nicht über.

STANDARD: Studien belegen, dass die Menschen Religiosität brauchen und suchen.

Knoll: Es gibt da einen sehr klaren Trend. Religion ist absolut im Wiedererwachen – ebenso alles, das in Richtung Mystik und Spiritualität geht.

STANDARD: Warum schafft es die institutionelle Kirche nicht, hier das Richtige anzubieten?

Knoll: Diese Fragestellung zielt immer auf einen Quotenerfolg ab. Das hat natürlich seine Berechtigung. Wenn ich überzeugt bin, eine gute Botschaft der Welt anzubieten, dann muss ich die so gut es geht vermarkten. Es herrscht aber ein tiefes Misstrauen gegenüber Institutionen.

STANDARD: Derzeit ist die Kirche nur mit einem Thema präsent: dem Streit um das Jesus-Buch von Gerhard Haderer.

Knoll: Ob das eine breitenwirksame Aktion war, sei dahingestellt. Ich finde die Aufregung darüber aufregend. Hier wird in einer sehr liebevollen Weise behauptet, dass Jesus angesichts der Kirche in der Welt und dessen, was die Menschen daraus machen, eine Art von Vernebelung braucht, um das ertragen. Stichwort: Weihrauch-Haschisch-Vergleich

STANDARD: Eine Verspottung?

Knoll: Bleiben wir am Boden! Es handelt sich um Satire und nicht um eine historisch-kritische Auslegung. Manche Äußerungen von Bischof Kurt Krenn haben meine religiösen Gefühle sicher mehr verletzt – zum Beispiel jene über das Frauenpriestertum.

STANDARD: Drohungen und Anzeigen: Was wurde da von der Kirche losgetreten?

Knoll: Für gegenseitigen Respekt bin ich auch. Aber die Groteske des Streites über das Haderer-Buch beklemmt mich eher durch die Enge, die damit zum Ausdruck kommt.

STANDARD: Wie beschreiben Sie das Verhältnis der evangelische zur katholischen Kirche?

Knoll: Es gibt eine lange Tradition eines ökumenischen Dialoges. Er kennt aber auch schmerzliche Grenzen: wenn die volle Gemeinschaft immer wieder verweigert wird, weil der Begriff Kirche auf die römisch-katholische beschränkt bleiben soll.

STANDARD: Erbt die evangelische Kirche die Probleme der katholischen?

Knoll: Die evangelische Kirche als Minderheitskirche hat sich zu lange in der Defensive reaktiv verhalten. Wenn die katholische Kirche ein Thema vorgegeben hat oder ihr eines geschehen ist, wurde reagiert.

STANDARD: Im Gegensatz zur evangelischen Kirche unterstützen die katholischen Bischöfe das Sozialstaats-Volksbegehren nicht.

Knoll: Das ökumenische Sozialwort der Kirchen teilt ja viele Forderungen, die im Begehren stehen. Bereits 1997 wurde von beiden Kirchen die Sozialverträglichkeitsprüfung gefordert. Die katholische Arbeitnehmerbewegung unterstützt das Volksbegehren.

STANDARD: Kritiker sagen, eine aktive Sozialpolitik sei wichtiger als eine Verankerung in der Verfassung.

Knoll: Aktive Sozialpolitik ist kein Widerspruch zur Verankerung in der Verfassung. Die Verankerung soll ja hinkünftig jede Regierung zu einer aktiven Sozialpolitik verpflichten.

STANDARD: Bei einfachen Gesetzen kann aber rascher reagiert werden als bei Verfassungsgesetzen.

Knoll: Es gibt soziale Grundrechte, die Rechtssicherheit brauchen und die nicht durch einfache Mehrheiten im Parlament zu einem Almosenstatus herabgewürdigt werden können.

STANDARD: Auch die christlich-soziale Partei ist dagegen.

Knoll: Das wundert mich auch. Aus biblischer Sicht hat christlich-sozial nichts mit einem radikalen Sparkurs zu tun. Jene, die viel haben, sollen es denen geben, die nichts haben. Neoliberale Politik kann weder mit einer sozialen, geschweige denn christlichen Schleife verkauft werden.

STANDARD: In einer Rede bei Regierungsantritt haben Sie sich sehr scharf gegen die FP-Beteiligung ausgesprochen. Fühlen Sie sich heute in Ihrem Urteil bestätigt?

Knoll: Leider habe ich viel zu sehr Recht behalten. Die Rede von damals bezieht sich ja auf die Flut an menschenverachtender Sprache, die sich über dieses Land ergossen hat. Inzwischen ist diese Unkultur fast Tradition geworden: Statt sich inhaltlich über unterschiedliche Positionen auseinander zu setzen, werden – wie aus einem Reflex heraus – Personen mit anderen politischen Haltungen als die der Regierung diffamiert und wo möglich auch gemobbt.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30./31.3. / 1.4. 2002)