T.C.Boyle
Schluss mit cool
Aus dem Amerikanischen von Werner Richter

EURO 20,50
390 Seiten
Hanser, München 2002.

Foto: Hanser
Menschen treiben auf Katastrophen zu. Gute Vorsätze knicken in grausames Verhalten um. Soziale Geflechte werden zum Drahtverhau, dem man sich nur tief verletzt entwinden kann. Was Tom Coraghessan Boyle bereits in mehreren Romanen thematisiert hat, variiert er nun in 16 neuen Kurzgeschichten. Ihr Grundtenor ist ein vergnügter bis bitterer, wissender, aber nicht besserwisserischer Pessimismus, ihre Kraft gewinnen sie aus Boyles unerschöpflicher erzählerischer Energie. Er schlüpft in stets neue Perspektiven und Rollen: Ein Ich-Erzähler, ein vierschrötiger Bursche in Alaska, wird um eine Wochenenderoberung geprellt und will sich nach einer so archetypischen wie wahnsinnigen Kanufahrt rächen. Oder: Im Surferparadies Südkalifornien reiben sich eine Marathonathletin und ihr bierbäuchiger Freund aneinander auf, hinter gut gemeinter Kameraderie lauert der pure Sadismus. Oder: Eines Nachts prallt der auf dem College angelernte akademische Diskurs auf den Schrecken des wahren Lebens, und übrig bleibt ein Paar, dessen Illusionen verflogen sind. Es sind zumeist Paare, Beziehungen - immer irgendwo in Amerika, fast immer in der Gegenwart -, deren Leben aus den Fugen gerät oder dem Ende zugeht. Oft ist Alkohol im Spiel, in Mengen, dass man schon beim Lesen Kopfweh bekommt, und dabei ist man erst auf der dritten Seite der Geschichte. Man bleibt dran und verfolgt willig, wie Boyle sich Situationen "anverwandelt" - seltsamer Ausdruck, aber wie geschaffen für die Fähigkeit des Autors, sich in ein Geschehnis hineinzubegeben und es zugleich aus den Angeln zu heben. Gerne enden die Shortstorys dort, wo die Spannung gerade unerträglich wird. Seine Technik hat etwas von den Creative Writing Workshops, die der im Staat New York geborene, 53-jährige Boyle besucht und bei denen er später unterrichtet hat. Derlei wird manchmal scheel angesehen - doch auch einen Maler kritisiert man ja nicht dafür, dass er sein Handwerk professionell gelernt hat, es kommt schließlich auf seine Bilder an. Die von Boyle haben die Tendenz, einen zu verfolgen. Boylologen werden in den Geschichten autobiografische Züge und Karikaturen erkennen (der dünne Schriftsteller als alternder Rockstar in "Achates McNeil") und Schauplätze seiner früheren Bücher: Die letzte Geschichte, die dem amerikanischen Original den Titel gab ( After the plague ), eine postapokalyptische Idylle mit einer Parodie von happy ending , liest sich wie eine Radikalisierung seines letzten Romans Ein Freund der Erde . Oder wie eine Fingerübung für Boyles nächsten Wurf. Das Reservoir dürfte noch lange nicht erschöpft sein. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30./31.3. / 1.4. 2002)