Berlin - FDP-Vizechef Rainer Brüderle hat Deutschlands Bundespräsident Johannes Rau aufgefordert, mit einem Allparteiengespräch eine Verfassungsklage gegen das Zuwanderungsgesetz zu verhindern. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller erklärte, er könne sich nicht vorstellen, dass Rau das Gesetz unterschreiben werde. Der Bundesausländerbeirat riet am Mittwoch Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber von einem Wahlkampf mit dem Thema Zuwanderung ab. Brüderle sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwochausgabe), in der verfahrenen Situation nach dem Eklat im Bundesrat müsse jetzt für das weitere Vorgehen eine einvernehmliche Lösung gefunden werden. Rau wäre mit seiner integrierenden Funktion und dem Lebensmotto "versöhnen statt spalten" der ideale Moderator für einen solchen Einigungsversuch. "Wir brauchen dringend neue Brücken zwischen den politischen Lagern", sagte der stellvertretende FDP-Parteivorsitzende. Der Eklat im Bundesrat - Auszug der Unionspolitiker nach der umstrittenen Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz - sei eine Katastrophe für den Parlamentarismus und den Föderalismus. Vorrangig sei keine verfassungsgerichtliche, sondern eine salomonische Lösung des unwürdigen Streits. Müller sagte der "Bild"-Zeitung (Mittwochausgabe), er gehe davon aus, dass sich der Bundespräsident nicht einfach über die vorherrschende Meinung in der Rechtswissenschaft hinwegsetzen könne. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das Gesetz unterschreiben wird." Seine Äußerung über ein "Theater" der Unionspolitiker bei der Bundesratsabstimmung über das Zuwanderungsgesetz werde er nicht wiederholen, sagte der CDU-Politiker. "Ich würde die gleiche Formulierung nicht noch einmal verwenden, weil man offensichtlich auch mitbedenken muss, dass Äußerungen vorsätzlich missverstanden und, wenn möglich, ins Gegenteil verkehrt werden." In der "Saarbrücker Zeitung" ergänzte Müller: "Im Nachhinein sehe ich natürlich auch, dass meine Formulierung offensichtlich nicht aus sich heraus zweifelsfrei verständlich war und in böswilliger Weise vom politischen Gegner missbraucht worden ist." Der Vorsitzende des Bundesausländerbeirats, Memet Kilic, kritisierte die Ankündigung der Union, die Zuwanderung zum Wahlkampfthema zu machen: "Stoiber hat keine andere Wahl, als so etwas Unanständiges zu tun, die Migranten als Wahlkampfthema zu missbrauchen. Aber er wird daran scheitern, weil wir uns nicht wegducken werden", sagte Kilic im Inforadio Berlin. Affäre schadete der Glaubwürdigkeit der Politiker Der Streit um das Zuwanderungsgesetz hat der Glaubwürdigkeit der beteiligten Politiker und Parteien in der öffentlichen Meinung deutlich geschadet. Laut einer am Mittwoch veröffentlichten Infratest-dimap-Umfrage für die ARD-Tagesthemen glauben 78 Prozent der Bundesbürger, dass es bei der Auseinandersetzung am vergangenen Freitag im Bundesrat allein um politische Machtspiele ging. Nur 14 Prozent nehmen an, dass die Sache selbst im Vordergrund stand. Infratest dimap hatte am Montag und Dienstag dieser Woche 1000 Wahlberechtigte befragt. Bei der persönlichen Glaubwürdigkeit der Bundesratsakteure ist Roland Koch (CDU) mit Abstand das Schlusslicht. Nur 18 Prozent halten das Auftreten des hessischen Ministerpräsidenten für glaubwürdig. Etwas besser steht Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) mit 23 Prozent da. Sein Koalitionspartner von der SPD, Regierungschef Manfred Stolpe (37 Prozent), sowie Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD/38 Prozent) schneiden zwar besser ab, gelten aber auch mehrheitlich als unglaubwürdig. Lediglich Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ragt heraus: 48 Prozent halten ihn für glaubwürdig, 43 Prozent nicht. Union in Umfragen deutlich zurückgefallen Bei der Sonntagsfrage ist die Union deutlich zurückgefallen. Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, würden die Union auf 39 Prozent kommen. Das ist ein Verlust von zwei Prozentpunkten binnen einer Woche. Auch die SPD verliert (-1 Punkt) und liegt bei 35 Prozent. Die FDP kommt wieder auf 9 Prozent (+1). Die Grünen sind erstmals seit Monaten wieder bei 8 Prozent (+1). Die PDS bleibt bei 6 Prozent. Zum Verhalten der Union nach der Bundesratsentscheidung haben die Befragten ebenfalls eine klare Meinung: 68 Prozent fordern, das Thema Zuwanderung aus dem Wahlkampf herauszuhalten - selbst bei den Unions- Anhängern sind immerhin 58 Prozent dagegen. Den Druck der Union auf Bundespräsident Johannes Rau halten 67 Prozent für unangemessen, nur 24 Prozent halten ihn für zulässig.(APA/AP/dpa)