Italien
Über zwei Millionen Italiener protestierten gegen Berlusconi
Arbeitnehmer fürchten Aufweichung des Kündigungsschutzes - Regierung bleibt hart
Rom - Nach einer monatelangen Krise zeigt sich Italiens
Mitte-Links-Opposition wieder selbstbewusst und geht auf offene
Konfrontation mit der Regierung unter Medienzar Silvio Berlusconi. In
der größten Massenkundgebung der Geschichte Italiens protestierten am
Samstag über zwei Millionen Menschen in Rom gegen die geplante Reform
des Kündigungsschutzes. Die Opposition befürchtet eine Aufweichung
der geltenden Regelung, die nur den Unternehmern Vorteile verschaffen
würde. Trotz der Massenkundgebung will die Mitte-Rechts-Regierung
hart bleiben und von ihren Plänen nicht abrücken. Mit der Kundgebung feierte das oppositionelle Bündnis "Ulivo" den
"Tag der Wiedergeburt". Die schwere Krise nach dem Mehrheitsverlust
bei den Parlamentswahlen im Vorjahr und die zahlreichen internen
Feindseligkeiten der letzten Monate schienen am Samstag vergessen.
Die Gefahr eines Abbaus des "Arbeiterstatuts" von 1970 brachte Massen
von Arbeitnehmern, Gewerkschaftern, Politikern und Intellektuellen
wieder auf die Straßen. Starpolitiker der Opposition führten die
Protestzüge an.
"Zusammen können wir das Regime Berlusconi besiegen"
So lautete
einer der Slogans auf der historischen Piazza San Giovanni. Eine
weitere Parole verkündete: "Hände Weg von den Arbeiterrechten!" "Wir
wollen in Italien nur einen einzigen Arbeitslosen: Silvio
Berlusconi!", riefen andere Demonstranten.
"Wir haben eine immense Demonstration ins Leben gerufen, eine
Massenmobilisierung, an die Italien noch lang denken wird", wurde
Oppositionschef Francesco Rutelli zitert. "Ein wichtiger Tag für die
Demokratie", fügte der Chef des Gewerkschaftsverbands CGIL, Sergio
Cofferati, hinzu. Und Piero Fassino, Mastermind der
Oppositionsstrategie, erklärte in Anspielung auf die Ermordung des
Regierungsberaters Marco Biagi am vergangenen Dienstag: "Das ist
nicht nur ein Tag für die Demokratie, sondern auch eine Absage an
alle Gewalt." Mit den Terroristen, die das Attentat verübt haben,
wolle man nichts zu tun haben.
Gewerkschaften und Opposition beschuldigen Berlusconi nun schon
seit Monaten, Unternehmern die Kündigung des Personals erleichtern zu
wollen, um so stärkere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt
durchzusetzen - was ihrer Meinung nach zu einem Verfall des
Lohnniveaus führen würde. Diese Reform ist laut Regierung aber
notwendig, um neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Der Konflikt hatte sich in den vergangenen Wochen zugespitzt,
nachdem Berlusconi klar gemacht hatte, alle Widerstände zu
ignorieren. In Bezug auf die Kundgebung und den Mord an Biagi sagte
der Premier: "Wer für die Erneuerung arbeitet, wird in Italien seit
jeher angegriffen, verhöhnt und manchmal auch ermordet. Die Regierung
wird aber ihre Arbeit fortsetzen. Wir müssen zu Ehren Biagis auf dem
Weg der Reformen beharren."
Rückendeckung für Berlusconi von Notenbank-Chef
Rückendeckung erhielt Berlusconi von Notenbank-Chef Antonio Fazio.
"Italien muss reagieren und den Reformenprozess vorantreiben. Im
Zeitalter der Globalisierung kann man nicht mehr Schutzmaßnahmen für
die Arbeitnehmer aufrechterhalten, die vor einem halben Jahrhundert
eingeführt wurden. Man muss an ein neues System von Rechten und
Pflichten denken und den Jugendlichen den Zugang zur Arbeitswelt
erleichtern", so Fazio.
Als linkes Kräftemessen bezeichnete Wirtschaftsminister Giulio
Tremonti die Massendemonstration: "Die Kundgebung ist ein Sieg der
Gewerkschaften der Anti-Globalisierungs-Bewegung und der
Altkommunisten." Tremonti bestritt, dass die von der Regierung
geplante Reform Unternehmern freie Hand bei der Entlassung von
Personal geben werde. "Wer bereits von dem Gesetz geschützt ist, hat
nichts zu befürchten. Wer keine Arbeit hat, kann mit den flexibleren
Maßnahmen leichter eine Stelle finden."
Eine heftige Attacke ritt die rechtspopulistische Regierungspartei
Lega Nord. "Die Gewerkschaften haben jenen Hass gesät, der den Boden
für den Mord an Regierungsberater Marco Biagi bereitet hat. Sie
können bei der Demonstration jetzt keine Slogans gegen den
Terrorismus rufen", erklärte Alessandro Ce.
In Regierungskreisen bestritt man, dass die Massendemonstration
die bevorstehenden Sozialpartner-Verhandlungen beeinflussen werden.
Die Koalition habe die notwendige Kraft, um im Parlament ihre
Reformen voranzutreiben. "Die Regierung lässt sich nicht
beeinflussen. Die Italiener haben Berlusconi gewählt, der seine Pläne
klar vorgestellt hat", sagte ein enger Mitarbeiter des
Regierungschefs. (APA)