Natürlich ist es leicht, der katholischen Kirche die Empfindlichkeit vorzuhalten, mit der sie einen Cartoonisten zum Ketzer stilisiert und ihm "Respekt vor dem Heiligen" abfordert. Oder Bischöfen, die gegen die "Verspottung der Zentralgestalt des christlichen Glaubens" wettern, zu entgegnen, dass nicht nur professionellen Spöttern längst nicht mehr heilig ist, was sie als Glaubensmittelpunkt erkennen und predigen.

Dazu braucht es keinen historischen Abriss, keinen billigen philosophischen Verweis auf die Früchte der Aufklärung in der beliebten Argumentationslinie, die spätestens mit Nietzsche beginnt und mit Sartre und Foucault aufhört. Darüber wissen selbst die Kirchenfürsten, denen es das quasi aufgeklärte Kirchenvolk am wenigsten zutrauen würde, selbstverständlich besser Bescheid, als allen Beteiligten lieb ist – und das hat nichts mit religiösen oder philosophischen Dogmen zu tun.

Was jedoch auch Angehörigen dieser in Glaubenskämpfen über die Jahrtausende so erprobten Einrichtung Kopfschütteln abnötigt – und durchaus solchen, die ihre grundsätzliche Sympathie für die Kirche noch nicht verloren haben – ist das wortreiche Schweigen, das ihre offiziell anerkannten Denker und Priester angesichts des Verlustes ihrer eigentlichen Geschäftsgrundlage verbreiten: Auf den Bedarf nach Spiritualität, den gerade die moderne Gesellschaft vehement äußert, findet die katholische Kirche keine Antwort – wenn man sich darauf einigen kann, dass anachronistische Aufrufe zur Achtung vor den wahren Glaubenssäulen und seltsam realitätsferne Anweisungen zur Wahrung christlicher Keuschheit nicht dazugezählt werden können.

Fast scheint es, als hätten längst vor allem die Diener der Kirche das Schlagwort des 19. Jahrhunderts, dass Gott tot sei, zu glauben begonnen, die den Glauben ihrer Schäflein ausschließlich mit der widerspruchslosen Akzeptanz formaler kirchlicher Autorität gleichsetzen. Man muss weder sehr bibelfest noch dogmatisch geschult sein, um dagegen Belegstellen aus der Primärliteratur des Katholizismus anführen zu können.

So überlässt die Kirche das Feld der Seelsorge, wie es sich heute darstellt, obskuren Schamanen, Esoterikern und Wunderheilern der Psyche, die den Suchenden zwar ebenso wenig Halt bieten können wie sie selbst, dafür aber eine Erwartungshaltung bedienen, deren Herkunft sich seit Jahrhunderten nicht verändert hat.

Angesichts des eklatanten spirituellen Defizits der Kirche müssen offenbar Ersatzdiskurse geschaffen werden, um wenigstens einen Teil des Publikums bei der Stange zu halten. Wenn man sich die erbittert geführte Auseinandersetzung um etwas mehr formale Mitsprache im Rahmen des Kirchenvolks-Begehrens betrachtet, so drängt sich der Verdacht auf, dass der konservative Ansatz gewonnen hat, die Lauen gehen zu lassen, um den Verbliebenen, sich unter jedes Kreuz des Fundamentalismus Beugenden ein geräumiges Gotteshaus zu schaffen.

Und sie gehen: Jedes Jahr treten rund 30.000 Katholiken in Österreich aus der Kirche aus, weil sie mit ihren Regeln nichts mehr anzufangen wissen. Es ist der Kirche hinsichtlich ihrer seelsorgerischen Aufgaben nicht zu wünschen, dass diese Menschen auch ihren Glauben verloren haben, wie es einige Bischöfe gern darstellen wollen. Schlimm genug für sie, dass sie ihn in dieser Kirche nicht gefunden haben.

Selbst auf einfach funktionierenden Ebenen wie der Publizistik ist offenkundig geworden, wie wenig die Kirche abseits ihrer Kanzeln zu brennenden gesellschaftlichen Fragen zu sagen hat. Die Zeiten, in denen sich die Medien an hohen Feiertagen wie selbstverständlich um Wortspenden der Bischöfe anstellten, sind längst vorbei. Und was diejenigen unter ihnen in Kolumnen von Druckerzeugnissen zu sagen haben, deren Anspruch mit der Glaubenslehre weniger zu tun hat als Haderers Cartoons mit dem Leben Christi, bliebe besser unausgesprochen. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 23/24. 3. 2002)