Am dritten Tag kam die Depression: "Ich träumte nur mehr von Erdäpfelpüree", sagt Andrea Mislik. Die viel beschäftigte Marktforscherin hatte sich eine Woche in ein Gesundheitshotel zu Säften, Tee und sonst gar nichts zurückgezogen. Seither schwärmt sie - trotz des eintägigen psychischen Knicks - von der stärkenden Wirkung einer Nulldiät: Noch drei Monate später sei sie "mental gestärkt" gewesen. "Jederzeit wieder", lautet ihr Credo.Nulldiät und "null Alkohol" Und damit liegt sie völlig im Trend. Frauen setzen immer häufiger auf Nulldiät, Männer - speziell vor Ostern - auf "null Alkohol". Beispiel: Innenminister Ernst Strasser. Er durchbrach seine 40-tägige Abstinenz (die auch Pressesprecher und Kabinettschef solidarisch einhalten) lediglich aus "medizinischen Gründen" während einer Dienstreise nach Südamerika, wo man sich mittels Schnaps vor "Montezumas Rache" zu schützen suchte. Keine Gnade vor der "Fastenakademie" Mag sein, dass er damit vor der "Fastenakademie" keine Gnade finden würde. Diese Einrichtung gehört zum 1998 gegründeten Verein "Österreichische Gesellschaft für Gesundheitsförderung" und hat bereits 25 "Fasten- und Gesundheitstrainer" ausgebildet. Bis Jahresende soll die Zahl verdoppelt werden. Um Abnehmen gehe es dabei nur als "Nebeneffekt", sagt Vorstandsmitglied und Sprecherin Ulrike Bittner. Eine "ganzheitliche Sichtweise" und "ökologische Orientierung" ist ihr wichtig. Die Kundschaft wird "immer jünger und schlanker", 80 Prozent davon sind Frauen. Fastenwoche für Manager in Aix-en-Provence Im Mai bietet man eine eigene Fastenwoche für Manager in Aix-en-Provence an. Dabei werden - laut Werbetext - nicht nur eine "Verjüngungskur von Haut und Zellen" versprochen, sondern auch "Schritte der Sinnfindung gegen die existenzielle Frustration". Im heurigen Frühjahr ist die Zahl der Kunden besonders stark gestiegen. Den Boom erklärt sich Bittner so: "Viele Nahrungsmittel befriedigen uns nicht mehr, weil sie nur mehr Hülle sind." Die neue Lust am Kochen Der Mix aus Wellness, Psychologie und neuer Lust am Kochen hat sich auch längst im Buchmarkt niedergeschlagen: Ein wahres Ratgeber-Meer wartet auf gesundheitsbewusste Leser. Die man aber nicht unbedingt lesen muss, wie Ingrid Kiefer, Ernährungswissenschafterin an der Uni Wien, findet: "Wenn ich professionell, also mit ärztlicher Begleitung faste, wird ein genauer Plan erstellt. Da muss ich mich nicht durch das ganze Zeug ackern." Oft würde auch viel Widersprüchliches publiziert. Freilich: Um sich ein grobes Bild zu machen, seien Bücher gut. Von Nulldiäten hält Kiefer wenig: Davon gehe die Wissenschaft völlig ab. Ein Mindestmaß an Vitaminen, Mineralstoffen und Eiweiß sei notwendig (siehe auch Interview). Je größer das Nahrungsmittelangebot sei, umso mehr werde bewusst gefastet. "Klientel der Sushi-Bars" "Die Leute wollen zeitlich begrenzt aus ihrem Konsumleben aussteigen", meint Zukunftsforscher Andreas Reiter. Auch er sieht hier einen Trend, wobei dieser eher "westlich orientiert und schichtspezifisch" sei. Meist seien es die höher Gebildeten und die Besserverdiener. Die "Klientel der Sushi-Bars", beschreibt er das Zielpublikum. "Schlechtes Gewissen" Und dieses ist von Widersprüchen gekennzeichnet: Das ausgeprägte Körperbewusstsein gehe meist nicht mit dem dazu passenden Verhalten einher. Der Forscher konstatiert "temporäres schlechtes Gewissen". Nach außen sei es aber natürlich auch identitätsstiftend, wenn man von persönlichen Fastenerlebnissen erzählen könne. Dass auch nicht religiöse Menschen dazu neigen, ihr Fasten in die Vorosterzeit zu verlegen, erklärt Reiter mit dem Bedürfnis der Menschen nach "starken Ritualen". Klärung des Geistes Prinzipiell habe Fasten natürlich rein religiöse Wurzeln, da in früheren vorneuzeitlichen Kulturen die Religion die gesamte Gesellschaft bestimmt habe, ergänzt der Religionswissenschafter Johann Figl. Wobei das Fasten in verschiedenen Religionen unterschiedlich ausgelegt wird. Da geht es um Klärung des Geistes, Demut und Bußfertigkeit. Manche Glaubensrichtung relativieren radikale Formen der Askese: Der Parsismus (hauptsächlich in Indien) lehnt Fasten aus "Schätzung der irdischen Güter" ab. (Martina Salomon und Peter Mayr, DER STANDARD Print-Ausgabe 22.März 2002)