... And You Will Know Us By The Trail Of Dead - Source Tags & Codes ist im Vertrieb von Interscope/Universal erschienen.

Für den Sommer wurde ein Österreich-Gastspiel der Band auf einem der großen Open-Air-Festivals in Aussicht gestellt.

Foto: Universal
Das junge US-Quartett "... And You Will Know Us By The Trail Of Dead" versucht auf "Source Tags & Codes" mit selbstzerstörerischen Hymnen wieder einmal die längst totgesagte Rockmusik zu retten. Trotz aller gegenteiligen Gerüchte: Die Band, die zuletzt wieder einmal die Rockmusik retten wollte - und zwar sowohl vor den ignoranten und im eigenen Saft schmorenden Altvorderen des feisten Bierbauchschlagers Marke Bon Jovi oder Bryan Adams einerseits wie auch vor den jungen naseweisen Tagedieben Marke Strokes, die der Welt ein V für ein U vormachen wollen und trotzdem nur bis zu Velvet Underground kommen, diese Band hat sich schon längst wieder aufgelöst. At The Drive-In aus San Diego machten spätestens mit ihrem Abschiedsalbum Relationship of Command aus dem Jahr 2000 und einer nur knapp gescheiterten Welteroberungstournee vielleicht zum letzten Mal klar, was Rock eben trotz allen geschichtlichen Wissens und aller Stilverfeinerungen von Nu-Metal über Grunge bis zur Aufrechterhaltung des Hardcore-Gedankens heute auch noch immer bedeuten kann, ja muss. Emotion und Energie, Sturm und Drang, Wut, Aggression, Zorn, Hass, nichtsdestotrotz der konstruktive Wille zur Veränderung, zum Umsturz. Dies alles mühsam gebündelt und verdichtet zu großen, alles niederreißenden und deshalb über kurz oder lang sich selbst, das eigene Schaffen zerstörenden Hymnen ohne Wenn und Aber. Basierend auf dem historischen Wissen, nicht wegen oder gegen etwas seine Tobsucht zu richten, sondern dies eben trotzdem zu tun, und nach der Vergeblichkeit dieses Mühens eine verbrannte Erde zu hinterlassen, die die eigene Auslöschung mit einschließt: Wenn wir hier über die - neben den aus der benachbarten kalifornischen Wüste kommenden Kollegen von Queens Of The Stone Age (neues Album, Songs For The Deaf , spätestens im Mai!) -, wenn wir hier über die einzig wahren Rockneuerer verhandeln wollen, gibt es an At The Drive-In keinen Weg vorbei. Hysterisch sich überschlagender Gesang, im vierten Gang mit den Gitarren immer nur nach vorne, vorne, vorne - bis nach den Refrains beim Strophen-Neustart nach dem Break eine Fehlzündung für Schrecksekunden sorgt - und dann, die Zündung klappt, aus dem Stand gleich wieder mit gezogenem Säbel gegen den Feind, der wie man selbst auch nicht sehr zwischen "Ihr" und "Sie" und "Wir" zu unterscheiden bereit ist: At The Drive-In, sagen wir es zum letzten Mal, war so eines der handverlesenen Fähnlein Fieselschweifs im Rock neueren Datums, das dieser stinkenden Leiche trotz aller Unkenrufe vom Rocktod vor spätestens zehn Jahren noch einmal gehörig Wind in die Segel geblasen hat. Und jetzt das. Schon allein der völlig unbrauchbare Name deutet darauf hin, dass man hier nur heiligen Boden betreten und diese Entscheidung wenigstens für eine gewisse Zeit überleben kann, wenn man weiß, dass es sich um eine Route auf einem Friedhof handelt: ... And You Will Know Us By The Trail Of Dead. Vier junge, in Austin, Texas beheimatete Drogenkinder bemühen sich auf ihrem dritten Album, nach dem Achtungserfolg ihres selbst betitelten Debüts, ihrem vor allem von der Kritik gewürdigten Nachfolger Madonna und einer in diesem Genre obligaten BBC-Session für John Peel auf Source Tags & Codes jene oben beschriebenen Ansätze, die sie sozusagen zu geistesverwandten Nachfolgern von At The Drive-In machen, zusätzlich auf den Kernpunkt zu verdichten. Nicht umsonst kommen Trail Of Dead ursprünglich auch aus der Ecke der Hardcore-Unterabteilung des so genannten Emo-Core, einer Stilrichtung, die das Wüten von alten Szenegöttern wie Black Flag und deren Sänger Henry Rollins hin in Richtung Melodie und eines emotional etwas breiteren Spektrums als des blanken Hasses auf "das System" deutete. Musikalisch bedeutet das 2002 neben einer Öffnung für Streicher- und Bläsersätze vordergründig auch erst einmal sinnloses Beiwerk wie Akkordeon, Harfe und Sitar. Als dominierendes Element über der heftig polternden Rhythmussektion hört man in Songs wie dem heimlichen Hit Baudelaire ("The only sin is boredom!") noch immer einen kaum in seiner statischen Grundgegebenheit zu bändigenden Sound von zu einer Wall of Sound aufgetürmten, stark manipulierten und deshalb nicht mehr eindeutig unterscheidbaren Tonspuren, die nicht nur von der schleifenden und schlingernden Führung in den schlafwandlerischen Mittelpassagen oft sehr offensichtlich an die New Yorker Avantgarde-Rockopas Sonic Youth erinnern. Man höre etwa Stück fünf, Homage . Allerdings haben Trail Of Dead nicht den Fehler begangen, mit dieser undurchdringbaren Wand in Schichtbauweise einen Mehrwert nur in vertikaler Richtung zu erzielen. Was bei all diesem irrwitzigen Gewusel am Ende übrig bleibt, ist dennoch die Übermacht der, sagen wir es gelassen, Rockgitarre in vollster Blüte. Zwar ist man hier Lichtjahre von fetten Boogie-Riffs und Klischees entfernt, an die sich heute nicht einmal mehr die Rolling Stones selbst erinnern können. Zwar misshandelt man sein Arbeitsgerät längst nicht mehr nur mit dem Plektrum oder dem Bottleneck, sondern nimmt schon mal einen Geigenbogen oder der Einfachheit halber die Faust oder eine damit gehaltene Bierflasche. Dass Rock aber genau so klingen muss, wie man sich aus reiner Faulheit heraus erwartet, dass er eben zu klingen hat, um diese Falle sind Trail of Dead als derzeit mehr oder weniger singuläre Erscheinung im Genre allerdings locker herumgekommen. Und ein überbordendes Verlangen, diesem Wirbelsturm zwischen melodischer Ökonomie, noiselastiger Misswirtschaft und dem billigen Abstoß von Gebrauchslyrik mit einem gezielten Faustschlag eine aufs Auge zu drücken, besorgt dann den Rest. Im Auge des Hurrikan, dort wo es ganz still ist, tut es schließlich am meisten weh. Hören mit Schmerzen. Ein großes und wichtiges Album. Play it loud! R.O.C.K.!!! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 3. 2002)