Welt
Baudrillard: Terror war Gegenschlag zu "Irrsinn der Globalisierung"
"Der Terrorismus vollendet die Orgie der Macht, die sich in den Twin Towers verkörperte"
Wien - Der französische Philosoph, Soziologe und
Medienkritiker Jean Baudrillard sieht die Terroranschläge vom 11.
September des Vorjahres weder als Akte von Psychopathen noch als
Ausdruck der Verzweiflung unterdrückter Völker. In einem Vortrag im
Wiener Rathaus ortete Baudrillard am Montagabend die wahren Ursachen
des Terrorismus im System selbst: "Das System selbst, der immanente
Irrsinn der Globalisierung in seinem totalen Anspruch, hat die
objektiven Bedingungen dieses furchtbaren Gegenschlags geschaffen."
Je mehr dieses System seine Macht ausdehne, desto größer sei die
Bereitschaft zu weiteren Terrorhandlungen: "Der Terrorismus vollendet
die Orgie der Macht, die sich in den Twin Towers verkörperte."Sinn- und zwecklos
Baudrillard spielte aber auch auf die Ohnmacht des
kapitalistischen Machtsystems an: Ereignisse wie die Terroranschläge
auf das World Trade Center seien "singulär" und forderten eine
ebenbürtige Reaktion, die jedoch nur Verflüchtigung des Ereignisses
selbst sein könne. So bleibe als einziger Ausweg aus diesem
terroristischen Ereignis, das uns unvorbereitet getroffen hat,
Bestürzung, Sprachlosigkeit und Unverständnis. Jedoch setze
Terrorismus nichts in Bewegung, er sei sinn- und zwecklos,
verdeutliche lediglich die Ohnmacht der neuen Weltordnung. Diese
Ohnmacht werde sichtbar durch einen einseitigen, sinnlosen Krieg,
ohne fairen Zweikampf, gegenüber einen unsichtbaren Feind. In diesem
ungleichen Kampf sieht Baudrillard die USA als den eigentlichen
Verlierer.
Ein Ereignis wie die Terroranschläge auf das World Trade Center
vom 11. September bleibe, so Baudrillard, vor allem durch die über
Medien übertragenen Bilder in Erinnerung: "Die Faszination dieses
Ereignisses ergibt sich erst durch diese Bilder. Indem sie an die
Stelle des Ereignisses treten, werden sie zur Realität und löschen
das wirkliche Ereignis aus." Baudrillard sieht in der symbolischen
Darstellung der Wirklichkeit durch eine mediale Bilderflut eine neue
Informationsstrategie, die auf einen Nullpunkt hinausläuft und auf
rein fiktiven, symbolischen Charakter reduziert ist.
Anhand des "Ground Zero" offenbare sich, so Baudrillard, das ganze
Dilemma dieser Null-Information: "Nichts ist mehr zu sehen, außer der
symbolischen Bedeutung. Die Weltmacht wurde auf ihren Nullpunkt
zurückgeführt. Anstelle des Ereignisses tritt ein Bild, welches das
Ereignis vollends verzehrt hat." (APA)