Kathy Reichs hat auf makabre Weise eine Katastrophe vorweggenommen, deren tatsächliche Ausmaße die Fantasie eines Schriftstellers unendlich überflügeln sollten: In ihrem neuen Roman beschreibt Reichs die komplizierten und aufwändigen Untersuchungen nach einer Flugzeugkatastrophe. Dass Reichs selbst bald schon als Mitglied der staatlichen Katastrophen-Einsatzgruppe DMORT in den Ruinen des WTC tätig sein würde, konnte sie beim Abschluss ihres Romans nicht ahnen. Im Nachwort nimmt Reichs auf diese einschneidende Erfahrung Bezug und meint, dass sie, obwohl sie als forensische Anthropologin von Berufs wegen mit dem Grauen zu tun hat, auf die emotionale Wucht dieser Erfahrungen nicht vorbereitet war. Durch Mark und Bein enthält neben einem spannenden Plot eine Fülle von wissenschaftlichen Informationen. Reichs schildert die unglaublich aufwändigen Methoden, die es möglich machen, trotz eines explodierten Flugzeugwracks die Unglücksursache festzustellen. Die Maschinenteile, die in einem Waldgebiet von North Carolina verstreut sind, bilden allerdings noch das geringere Problem. Reichs Alter Ego Tempe Brennan wird zum Einsatz gerufen, um die Leichenteile zu analysieren und die Körper so gut es geht zu identifizieren und zusammenzusetzen. Tempe findet aber durch Zufall ein menschliches Bein, das zu keinem der Absturzopfer passt. Sie kann Alter, Geschlecht und Rasse bestimmen (wie sie das beschreibt, hat beinahe lyrischen Charakter), findet aber den Rest des Körpers nicht. Als sie sich für ein anscheinend verlassenes, versteckt liegendes Gebäude in der Nähe der Absturzstelle zu interessieren beginnt, wird Tempe überraschend vom Dienst suspendiert. Aber Rufmord ist noch das Geringste, mit dem sie zu kämpfen hat. Tempe ist offensichtlich den örtlichen Honoratioren in die Quere gekommen. Im Machtbereich der Rednecks tummeln sich seltsame Gestalten zu Hauf: Christliche Fundamentalisten, die während ihrer Gottesdienste mit Klapperschlangen herumspielen und sich so die nötigen Adrenalinschübe holen, gehören da noch zu den harmloseren Figuren. Wie immer ist Reichs naturwissenschaftlicher Krimi gut aufgebaut, temporeich erzählt und mit einem hübsch verfilmbaren Ende geglättet - und trotzdem nur etwas für stabile Nerven. (DER STANDARD; Album, 16.03.2002 - Von Ingeborg Sperl)