Inland
IHS-Leiter Felderer: Pensionsantrittsalter sollte freigegeben werden
Jeder soll Zeit seines Pensionsantritts selbst bestimmen können
Wien - Für eine Freigabe des Pensionsantrittsalters sprach
sich am Freitag der Leiter des Institutes für Höhere Studien (IHS),
Bernhard Felderer, aus. Jeder sollte den Zeitpunkt seines
Pensionsantritts selbst bestimmen können. Das bestehende
Umlageverfahren ("Generationenvertrag") sollte durch individuelle
Zeitansparkonten ergänzt werden, um für die Pensionsbemessung auch
die Lebensarbeitszeit heranziehen zu können. Es sei nicht einsichtig,
wenn jemand mit Einverständnis seines Arbeitgebers bis 70 arbeiten
wolle, dass er dann nicht mehr Pension bekommen soll, sagte Felderer
im Klub der Wirtschaftspublizisten. Andererseits solle jeder früher
in Pension gehen können, wenn er mit seiner geringeren
Pensionsbemessung das Auslangen finde. Bei stabiler Bevölkerungszahl würde sich das Pensionskontensystem
über eine Verzinsung der Lohnsumme selbst finanzieren. Bei sinkender
Bevölkerungszahl, wie alle Szenarien vorhersagen, müsste der Staat
mit Zuschüssen aushelfen. Nur auf diese Weise würde aber ein Anreiz
geschaffen, länger zu arbeiten. Die Pensionsreformen aller
Regierungen der letzten zehn Jahre ("auch der jetzigen") mit
prozentuellen Pensionsabschlägen für jedes Jahr Pensionsantritt vor
dem gesetzlichen Pensionsalter (65/60) hätten bezüglich einer
längeren Lebensarbeitszeit keine Effekte gezeigt, da der
Lenkungseffekt der Abschläge zu gering sei.
Das IHS hat im Herbst 2001 für das Ludwig Boltzmann Institut eine
Studie über die Wechselwirkung zwischen Pensionsversicherung und
Ruhestandsverhalten in Österreich fertig gestellt. Darin wird
festgestellt, dass die "Flucht in die Frühpension" unser
Pensionssystem zunehmend destabilisiert. Das Umlageverfahren bleibe
längerfristig nur gewährleistet, wenn es zu einer nennenswerten
Anhebung der Erwerbsquoten im vorgerückten Alter kommt.
Als "optimales Ruhestandsalter", das den Nettobarwert der aus dem
System empfangenen Leistungen maximiert, ergibt sich laut der Studie
in der Regel das frühestmögliche Antrittsalter, also derzeit 61,5
Jahre für Männer. Jedes Arbeitsjahr darüber hinaus bedeute einen
Verlust für den späteren Pensionsempfänger, da der Zuwachs bei der
Pensionsbemessung geringer sei als die Summe aus zusätzlichen
Beitragszahlungen für das angehängte Arbeitsjahr und nicht
beanspruchter Pension. Im Fall von Invalidität oder niedrigen
Einkommensbeziehern, die in den Genuss von Ausgleichszulagen kommen,
sinke das optimale Ruhestandsalter sogar weiter auf 55 Jahre. Das
österreichische Pensionssystem sei also versicherungsmathematisch
nicht fair angelegt und ermuntere zum vorzeitigen Pensionsantritt zum
ehestmöglichen Zeitpunkt.
Die kontinuierlich, etwa alle zwei Monate zusammentretende
Pensionsreformkommission werde im heurigen Oktober ihre nächsten
Vorschläge zur Zukunftsgestaltung des Pensionssystems präsentieren.
"In der heutigen Form werden wir die Pensionsversicherung nicht
durchziehen können", so Felderer. Sonst wären einmal Pensionsbeiträge
von 10 oder 20 Prozent erforderlich, was eine "Katastrophe für die
Wirtschaft" wäre und zu massiven sozialen (Generations-)konflikten
führen würde. (APA)