Warum hat Michael Häupl vor einem Jahr bei den Wiener Wahlen zu seiner eigenen Überraschung die absolute Mehrheit wiedergewonnen? Erstens, weil Protestwähler vor allem aus der Arbeiterschaft und dem Kleinbürgertum aus Enttäuschung über die Belastungen der schwarz-blauen Koalition zur SPÖ zurückgewandert sind. Zweitens, weil ein paar Zehntausend potenzielle Grün-Wähler, Ex-Liberales-Forum-Wähler und potenzielle ÖVP-Wähler, die ihre christlichen Werte ernst neh-men, diesmal auch SPÖ gewählt haben. Sie taten es wegen Jörg Haider, der im Wiener Wahlkampf offen mit dem Antisemitismus hantierte.

Haider trieb mit seinem Antisemitismus diese Wählergruppen, die sich auch für die Grünen oder die ÖVP entscheiden hätten können, der SPÖ zu. Trotz einer gewissen Abneigung in diesen Kreisen gegen die Übermacht der Wiener SP. Man wollte seine Stimme möglichst effektiv einsetzen und entschied sich daher einfach für die stärkste Gegenmacht zur Haider-FPÖ, bzw. zur schwarz-blauen Regierung, und das war eben die SPÖ. Wichtig war dabei auch, dass Bürgermeister Häupl rasch und scharf auf Haiders Antisemitismen reagierte, während etwa der Wiener Grünen-Chef Chorherr erst dazu gestoßen werden musste.

Warum dies hier nacherzählt wird? Weil die Wiener ÖVP gerade wieder einen neuen Chef sucht. Weil dabei vielleicht die Frage zu diskutieren wäre, wie eine moderne, bürgerliche Stadtpartei aussehen könnte, um in Wien endlich wieder Erfolg zu haben - statt wie jetzt, in den Umfragen auf den vierten Platz hinter die Grünen zu rutschen. Ein Element einer solchen Partei müsste sein, dass sie attraktiv auf jene jüngeren, gebildeteren, liberaleren Wählerschichten wirkt, die sich von Haider zur SPÖ haben treiben lassen.

Eine moderne konservative Partei in einer Groß-und Hauptstadt kann nicht allein von solchen Wählern leben. Aber sie kommt nicht ohne sie aus, wenn sie wieder in die Nähe von 20, 25 Prozent kommen will.

Die Spitzenrepräsentanten der Wiener ÖVP in den letzten Jahren, Bernhard Görg und Peter Marboe, waren relativ liberale, anständige Politiker. Sie haben einen weiteren Niedergang verhindert. Um mehr zu erreichen, hätten sie erstens kämpferischer sein müssen, und zweitens hätte die Wiener ÖVP hinter ihnen anders sein müssen. Die Funktionäre sind Kleinbürger, deren Hauptreflex der Antimodernismus ist. Die meisten von ihnen denken so wie der dumpfeste FPÖ-Funktionär, manchmal abgemildert durch christlich-soziale Prägungen. Ihre Wortführer hätten auch am liebsten in Wien eine Koalition mit den unsäglichen Wiener Kabas-Freiheitlichen gemacht, wenn es sich nur ausgegangen wäre.

So bleibt die ÖVP aber als Partei zur demographischen Stagnation verdammt. Kleingewerbetreibende vom alten Schlag und Beamte sind einfach keine wachsenden Segmente. Die neuen Selbstständigen, die Internetgeneration, aber auch der dynamische Mittelstand insgesamt ist so nicht zu holen. Nachdem dieses Wählersegment vom Liberalen Forum fahrlässig verspielt wurde, steht es zur Disposition. Wenn die Wiener Grünen nur einen Funken Verstand haben, dann werfen sie ihren basisdemokratischen und klassenkämpferischen Ballast ab und werden zur neuen sozialliberalen Partei. Wenn nicht, dann werden die meisten dieser Wähler bei der SPÖ bleiben (wobei es in hohem Ausmaß am Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny liegt, um sie wirklich zu halten).

Die Wiener ÖVP wird aber wohl das bleiben, was sie ist, und damit bleibt auch Wien weiterhin eine Hauptstadt ohne moderne Konservative. hans.rauscher@derStandard.at (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 3. 2002)