„To-ma-ten-saft, To-ma-ten-sa-a-ft.“

Tatsächlich. Ein Jugendlicher. Da rotiert er, die Augen wild verdrehend, um eine Haltestange in der U-Bahn. Sing-sangt: „To-ma-ten-saft, To-ma-ten-sa-a-ft.“ Zuerst denkst du dir: „Arg überdreht“. Doch dann treffen dich seine Aufmerksamkeit einfordernden Blicke, du hörst das zähflüssige, mit FM-4-„Cool&Fett“-Modismen gesättigte Nasal-Qua-Qua und siehst die superschicke Trendpanier. Spätestens dann weißt du: Nix „arg überdreht“. Sondern eindeutig: Pädagogischer Bremsdefekt.

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Weil: In der Erziehung kann man ja einiges falsch machen.

Auch und vor allem in der pädagogisch wertvollen aus wertorientiertem Hause. Hier wird vor allem gelobt. Und zwar alles. Auf dass sich ein voluminöses Selbstwertgefühl entwickle, auf dass sich daraus ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein entwickle, auf dass sich ein „gesunder“ Egoismus entwickle. Ein Lobeshymnus wird angestimmt, wenn sich das Puzi eine Woche früher als im „Eltern“-Ratgeber ausgewiesen mit seinem Gacksi spielt und eilig die Hochbegabtenförderung kontaktiert. So geht das weiter und weiter. LobLobLobLobLob. Und später einmal: „To-ma-ten-sa-a-ft.“

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Severin ist da anders.

Gänzlich anders. Severin will vor allem seine Ruhe.

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Die „Turboschnecke 2002“ ist sein Werk.

Der 11-Jährige hat ein Teil hingeklotzt, das mehr Funktionen in sich vereint als der „I-Drive“-Joystick von BMW. Damit hat sich für ihn die Sache. Jetzt wartet er auf die Jury. Dann wartet er auf eine Entscheidung. Dann fährt er wieder heim.

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Severin ist Österreich-Finalist des LEGO-Mindstorms-Bauwettbewerbs 2002.

Aus insgesamt 243 Einsendungen wurde seine Turboschnecke gemeinsam mit drei anderen Konstruktionen zum diesjährigen Finale geladen. Die Nachwuchsstars des (Robo-)Techno - „Uncle Stronnäcks“ zukünftige Autocluster-Masterminds versammelt in einem Raum - „Bewegt“ konnte sich diese Chance natürlich nicht entgehen lassen.

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Schauplatz der finalen Mindstorms-Battle.

Mit der Entwicklung der Mindstorms-Linie, dem ersten „denkenden“ Legostein, hievte sich der dänische Spielwaren-Gigant aus der Absatzkrise. Noch Ende der Neunziger drohte es mit dem Noppen-Imperium steil bergab zu gehen. Japans Spielekonsolenindustrie und ein angestaubtes Image setzten dem Unternehmen schwer zu. 1999 rissen die Dänen das Ruder herum. Gemeinsam mit den Tüftlern des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston wurde das RCX-Modul entwickelt, ein Plastikkästchen, so groß wie eine Zigarettenschachtel. Darin steckt ein kleiner Mikrochip, der über einen PC und einen Infrarotsender mit Befehlen gefüttert wird. Fertig ist der Roboter.

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Oder eben nur fast.

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Mit der Präsentation von "Mindstorms" wurden weltweit Tüftler-Wettbewerbe ins Leben gerufen. Mittlerweile ist das Internet voll von Bauanleitungen, Robotic-Foren und selbstkonstruierten Erweiterungskitts. Die Community stachelt sich in Permanenz zu neuen Höchstleistungen an.

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Patrick fühlte sich ebenfalls angestachelt.

Prompt konstruierte er sich ins Finale.

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Patrick lässt „Maxl“,

einen kabelgesteuerten und wild mit den Flügeln schlagenden Käfer auf die gaffende Menge los. Souverän, wie ein abgezockter Profi, erklärt er jedem der es genauer wissen will, wie was warum so und nicht anders sei. „Zwei Tage hab ich gebaut“, sagt Patrick und seine Augen leuchten und werden größer als die von „Maxl“. „Zerscht hab ich eine Skizzn gmacht“, doziert der Tirolerbub, „dann isch´s ganz schnell gangen.“ Drei Motoren hat er so in Windeseile verbaut.

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Der 11-Jährige lebt in Lego-Land.

Mama hat dafür gesorgt. „Ich hab zu unseren Bekannten g´sagt: Wenn´s ihr ihm was schenkn wollt´s, dann nur Lego,“ bringt sie die Philosophie des Hauses auf den Punkt. Und reicht prompt nach: „Das macht nämlich Sinn.“

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Annabells „Energie Quiz Roboter“ macht auch g´scheit.

Der Computer gibt zwei Kontrahenten jeweils eine Frage zum Thema Energie vor. Aus drei Antwortmöglichkeiten kann gewählt werden. Nach der Eingabe per Knopfdruck zeigt der Computer die richtige Anwort an. Eine Skala weist das aktuelle Punktekonto aus.

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„Mir ist sonst nix anderes eingefallen“,

gerät die schüchterne Tüftlerin bei der Frage nach dem Warum in Erklärungsnotstand. „Im Fernsehen sind momentan so viele Quizsendungen, da hab ich mir halt gedacht, ob ich nicht auch was mit Quiz machen könnt.“

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Innerhalb von zwei Wochen hat sie die Idee in die Tat umgesetzt.

Nun ist das Teil fertig. Nun will sie eigentlich in Ruhe gelassen werden. Interview-Anfragen quittiert die 12-Jährige Wienerin mit einem unterdrückten Stöhnen. Nur gut, dass da ...

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... der Papa sofort in die Bresche springt.

Und der kennt sich aus. Nicht weil er einer dieser hauptberuflichen Sich-Auskenner ist, sondern weil er weiß, wovon er spricht. Michael ist Lego-Afficiando der ersten Stunde und ... ebenfalls Mindstorms-Finalist. Er zeichnet für den Batteriekapazitätsmessroboter verantwortlich. Michael ist Profi. Michael erklärt alles so, dass man es auf Anhieb versteht. „Ich hab immer so viele halbleere Batterien herumliegen, braucht man mal eine, weiß man nicht wie viel Saft drin ist. Darum hab ich den Messroboter gebaut.“ Die Idee ist genial, das Prinzip einfach: Batterie reinlegen, ein Motor misst den Widerstand und wirft die „Guten“ auf der einen, die „Schlechten“ auf der anderen Seite aus.

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„Ich bin ein Hardcore-Bastler“,

gesteht er schmunzelnd, während er der Crowd zum x-ten Mal seine Erfindung erklärt. „Letzte Woche hatten wir wieder eine Billard-Battle bei mir zu Hause. Da treffen wir uns, und lassen unsere Lego-Roboter gegeneinander antreten.“ Ob er mit seinen 45 Jahren nicht schon etwas zu alt für Kinderspielzeug sein? „Nein, sicher nicht. Da kann man immer wieder was Neues lernen. Es macht einfach Spaß. Und bei den Mindstorms-Bewerben gibt´s ja kein Alterslimit.“ Wie viele Wochenstunden er an seinen Geräten tüftelt, „weiß ich nicht. Das sind Nach-Mitternachtsstunden. Die zählen nicht.“ Und was sagt die Gemahlin? Prompte aber ausweichende Antwort: „Die sammelt Puppen.“

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Severin hat gänzlich andere Probleme.

Die Jury forscht nach dem Sieger und will alles über seine Turboschnecke wissen. Aber auch schon alles. „So, Severin. Wie ist das? Wie ist das nun wirklich, Severin? Jajaja. Aber wie ist das nun WIRKLICH?“ Jetzt müsste es aus ihm heraussprudeln. Er müsste reden, was geht. Er müsste PRÄSENTIEREN. Aber Severin ist Denker und kein Blender. Er verhaspelt sich in Details, kommt nicht und nicht auf den Punkt.

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Staunen macht sich breit.

Das Casting-Inferno „Popstars“? Ein Wellnesswochenende gegen das, was sich hier abspielt.

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Patrick und sein "Maxl"

meistern den Prüfparcours hingegen mit souveräner Lässigkeit.

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Dann zieht sich die Jury zur Beratung zurück

und lässt den Technikzauber Revue passieren.

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Nicholas würde auch gerne warten.

Doch er hat sein Teil bis zum großen Finale nicht fertigbekommen. "Die Zeit war zu knapp," konstatiert er und lächelt verunsichert. Und man merkt, dass da etwas in dem 14-Jährigen rumort. Schürft man etwas tiefer, kommt die Wahrheit ans Licht: "Die Lehrerin war Schuld. Sie hat mir den Finaltermin zu spät gesagt. Und dann hab ich in der Eile die Lenkung nicht mehr in den Griff bekommen. Aber schreib das nicht". "Bewegt", dem anwaltschaftlichen Journalismus verpflichtet, schreibt das selbstverständlich.

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Dann die Entscheidung:

Gewinner des Mindstorms-Österreich-Finale ist weder Patrick, der dennoch zufrieden seinen Anerkennungspreis einstreift, ...

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... und auch nicht Severin,

der die Entscheidung gewohnt stoisch zur Kenntnis nimmt, sondern ...

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Annabell mit ihrem "Energie Quiz Roboter".

Hier sitzt der stille Star, nur Sekunden nach der Prämierung, vertieft in die Features ihres Sachpreises ... und ist ganz, ganz weit weg.

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Doch die Zeit des stillen Triumphs währt nur kurz.

Auf energischen Zuruf wird posiert, ...

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... und wieder posiert.

Doch man merkt: Das ist nicht Annabells Welt.

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Michael macht nach dem Trara den freundlich-souveränen Geleitschutz.

Der "Hardcore-Bastler" verbirgt hinter seinem Schnauzer nur mühsam das Lächeln eines stolzen Tüftlerinnen-Papas. Weil morgen, ja bereits morgen könnte Annabell ...

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... die Titelgeschichte in Peter Moonsleitners Magazin gewidmet sein.

Der grau melierte Herr auf dem Cover ist schließlich auch für seine "Mindstorms" bekannt. (kommunikaze)

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Lego Mindstorms

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