Die USA schalten sich jetzt doch wieder ein, und Israels Premier Ariel Sharon hat völlig überraschend seine Forderung nach "sieben Tagen absoluter Ruhe" fallen lassen - aber nach dem blutigsten Wochenende seit dem Beginn der Konfrontation spricht wenig dafür, dass die Serie der palästinensischen Anschläge und die israelische Militärkampagne ihrem Ende nahe wären. Wenn US-Emissär Anthony Zinni diese Woche wieder einfliegt, dann wohl auch, um seinem Vizepräsidenten Dick Cheney Flankenschutz zu geben, der auf einer Tour, die ihn durch elf Nahoststaaten führen soll, das Terrain für einen Angriff auf den Irak zu sondieren begann.Schon Zinnis erster Vermittlungsanlauf war im Dezember in einem Feuerwerk der Gewalt untergegangen, nun bekam man den Eindruck einer makabren Wiederholung. Im überfüllten Kaffeehaus "Moment", einem In-Lokal im Zentrum von Jerusalem, sprengte sich Samstagnacht ein Selbstmordattentäter in die Luft - elf der Gäste wurden getötet und mehr als 60 verletzt, die Palästinensergruppe "Hamas" übernahm die Verantwortung. Dass das Café in unmittelbarer Nähe der Residenz von Premier Ariel Sharon liegt, wurde von der Polizei als "Zufall" bewertet - Sharon befand sich zum Zeitpunkt der Explosion weit weg auf seiner Farm in der Negev-Wüste. Keine drei Stunden zuvor hatten beim Eingang des Hotels "Jeremy" nahe der Strandpromenade der Stadt Netania zwei Terroristen um sich geschossen und Handgranaten geworfen, ein Mann und ein neun Monate altes Mädchen wurden getötet und rund 50 Passanten verletzt, ehe die Angreifer von Polizisten erschossen wurden. Zu dem Anschlag bekannten sich die "El-Aksa-Märtyrer-Brigaden", die der "Fatah"-Bewegung von Palästinenserchef Yassir Arafat nahe stehen. Noch in der Nacht griffen israelische Bodentruppen, Hubschrauber und Flugzeuge wieder verschiedene Ziele im Westjordanland und im Gazastreifen an - der spektakulärste Schlag traf Arafats Hauptquartier in Gaza, das durch Dutzende Raketen zerstört wurde. In dem Gebäude befanden sich auch Anlagen des Palästinensischen Fernsehens. Fast ohne Unterlass setzen die Israelis ihre "Razzien nach Terroristen" fort, die sich auf das Flüchtlingslager Deheishe bei Bethlehem konzentrierten - auch hier meldete die Armee wieder den Fund von Waffenlagern und "Bombenfabriken". Furchtbarer Blutzoll Einen furchtbaren Blutzoll hatten zuvor ähnliche Operationen im Raum Tulkarem und im Gazastreifen gefordert - am Freitag und Samstag wurden insgesamt 44 Palästinenser getötet. Das Flüchtlingslager bei Tulkarem war völlig unter israelischer Kontrolle - es waren gespenstische und für die Palästinenser demütigende Szenen, als sich dort nach und nach rund 500 Männer ergaben, von denen viele Waffen ablieferten. Einige mussten gefesselt und mit verbundenen Augen auf ihren Abtransport warten. Vor diesem Hintergrund war es verblüffend, dass Sharon eine von ihm seit Monaten verteidigte Position aufgab: "Verhandlungen über einen Waffenstillstand werden auch unter Feuer stattfinden", verkündete der Premier im israelischen Fernsehen, vor dem Kabinett musste er diese Kehrtwende angesichts bitterer Kritik rechtsgerichteter Minister rechtfertigen: "Ich bin zu dem Schluss gekommen, wegen der sehr hohen Stufe des Terrors und auch wegen des Umfangs unserer Operationen, dass es in der jetzigen Lage nicht möglich ist, einige Tage absoluter Ruhe zu erreichen." Sonntag sollte wieder ein Geheimtreffen zwischen Israels Außenminister Shimon Peres und dem palästinensischen Parlamentspräsidenten Abu Alla stattfinden, doch kaum jemand glaubte so recht an eine Entschärfung. (DER STANDARD, Print, 11.3.2002)