Die direkte Demokratie hat bisweilen den Vorzug, die Regierenden vor den Konsequenzen ihrer eigenen Verbohrtheit zu bewahren. Irlands Bürgerinnen und Bürger haben sich diese Woche vernünftigerweise geweigert, Frauen in Krisensituationen zu kriminalisieren und ihrer Verzweiflung auch noch die Entwürdigung hinzuzufügen. Die Suizidneigung einer schwangeren Frau muss auch künftig ernst genommen und darf nicht a priori als perfider Trick abqualifiziert werden. Natürlich bleibt die Abtreibung in Irland auch nach diesem Votum verboten, selbst bei Vergewaltigung, Inzest und bei Lebensunfähigkeit des Embryos. Unerwünschte Schwangerschaften werden eben in England beendet.

Aber immerhin behält der irische Gesetzgeber die Kompetenz, Härtefälle zu regeln. Wäre nämlich die Regierung mit ihrem Verfassungszusatz erfolgreich gewesen, dann hätte es für die kleinste künftige Reform eines erneuten Referendums bedurft. Das war die Absicht der katholisch-konservativen Kreise, die sich mit allen Mitteln gegen den wachsenden Realitätsbezug der irischen Gesellschaft sträuben. Sie wollten jetzt, wo die alten Sehnsüchte nach einer heilen Welt noch wach sind, ein Fait accompli schaffen. Das ist gründlich misslungen, wobei im Gegensatz zu 1992, als die Selbstmorddrohung schon einmal vom Volk als Grundlage für eine Abtreibung anerkannt wurde, die Ablehnung überwiegend aus der liberalen Ecke kam.

Jene ultrakonservativen Kräfte, denen selbst die Regierungsvorlage zu weit ging, konnten sich nicht durchsetzen, die ländliche Bevölkerung unterstützte die Pläne der Regierung. Diese wachsende Kluft zwischen Stadt und Land wird indes allmählich zum gesellschaftlichen Problem: Zum zweiten Mal schon, wie bei der Legalisierung der Ehescheidung, hat die aufgeklärte Hauptstadt Dublin den altmodischen und frommen Wünschen zuneigenden Rest des Landes in die Gegenwart gezerrt.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 08.03.2002)