Der österreichische Filmregisseur Ulrich Seidl, durch seinen preisgekrönten Spielfilm "Hundstage" international präsent, sprach mit Isabella Reicher über erstarrte Menschen und methodische Bewegung.
Foto: Allegro-Film
Ulrich Seidl (2.v.l.) und seine Darsteller Christine Jirku, Georg Friedrich und Victor Hennemann am Set von "Hundstage"
Wien - Brütende Hitze liegt über der Vorstadt. Es ist Hochsommer, und während die einen reglos in der Sonne liegen, folgt eine wendige Kamera den anderen in ihre Behausungen im Niemandsland zwischen Ausfallstraßen und Einkaufszentren: Hundstage , der erste Spielfilm des österreichischen Dokumentarfilmregisseurs Ulrich Seidl ( Tierische Liebe , Models ), begleitet ein Wochenende lang ein gutes Dutzend Personen beim Braten und Schwitzen, bei Sex und Langeweile, bei heftigen Auseinandersetzungen, gewalttätigen Konfrontationen oder stillen Kämpfen gegen äußere Umstände und innere Abhängigkeiten. Ein raues Porträt - großartig umgesetzt von einem Ensemble aus Laien und Profis -, das unter die Haut geht und in größter Trostlosigkeit doch immer wieder Glücksmomente findet. Mitten im Winter kommt Hundstage , der seit seiner Auszeichnung mit dem Großen Preis der Jury bei den Filmfestspielen von Venedig vergangenen September von einem internationalen Festival zum nächsten reist, nun in die heimischen Kinos. Vor dem Hintergrund von Seidls bisherigen Arbeiten erscheint Hundstage als konsequente Fortführung einer Arbeitsweise sowie thematischer und formaler Charakteristika.
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STANDARD: Alle Ihre Filme sind geprägt vom Wechsel zwischen sehr bewegten Handkamerasequenzen und starren Tableaus. Wie ist das entstanden? Das verweist ja schon auf den Grenzbereich zwischen Dokumentar- und Spielfilm, in dem sich etwa Models bewegt. Ulrich Seidl : Das war von Anfang an da, schon bei meinen frühen Filmen - einerseits ein Interesse am Dokumentarischen im Sinne eines Cinéma Verité und auf der anderen Seite der Hang zur Inszenierung. Schon 1982 beim Ball gab es das Konzept, die Kamera zwischen verschiedenen Standpunkten zirkulieren zu lassen, sie aufzustellen, ein Bild einzurichten, einzuschalten - und was passiert, passiert. Ein Konzept, das völlig dokumentarisch ist. Gleichzeitig ist die Cadrage der Bilder sehr genau überlegt, das ist meine Handschrift. STANDARD: Ein anderes wiederkehrendes Element ist das Interesse an Wiederholungen oder auch Leerlauf auf vielen verschiedenen Ebenen, mit Zuspitzungen wie etwa im Bild des Windhundes auf dem Laufband in Tierische Liebe . Seidl : Das ist der eingesperrte Mensch in seiner Monotonie, der durch die Maschine ferngesteuerte Mensch. Und es ist auch der Stillstand. STANDARD: Suchen Sie das? Seidl : Das ist ein Ausdrucksmittel - ich kann nicht sagen, dass ich es speziell suche, es kommt mir entgegen. Wohl auch deshalb, weil hier etwas reduziert und auf den Punkt gebracht wird. Ich erinnere nur an dieses Bild in Hundstage mit der Mischmaschine. Da liegen diese Körper wie tot in der Sonne, und daneben gibt es dieses Maschinengeräusch. Die Maschine läuft, und der Mensch ist erstarrt - und dieser Kontrast macht Musik.
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STANDARD: Die Sprache, die Rollenspiele oder Umgangsformen in Ihren Filmen haben ebenfalls den Charakter von Wiederholung und Kreislauf. Spielt das eine Rolle, wenn Sie Figuren entwickeln oder Dialoge schreiben? Seidl : Das ist in Hundstage angelegt, obwohl es von mir nicht unbedingt so beabsichtigt ist. Die Dialoge wurden auch nicht geschrieben. Ich sage jedem der Beteiligten, welche Aufgabe er hat, in welcher Situation er sich befindet und wie er reagiert. Und ich instruiere die Leute meistens getrennt, es gibt keine allgemeine Szenenbesprechung. Insofern wird das nicht eingespielt und nicht durchdacht. Ich glaube, dass Spontaneität sehr wichtig ist, dass jeder mit seinen Vorstellungen die Szene spielt und spricht. Dann versucht man, dieses Angebot, das da kommt, in Bahnen zu lenken. Entweder es stimmt eh und war gut - oder man muss eingreifen, reduzieren.
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STANDARD: Hat sich Hundstage nach und nach aus den Dokumentarfilmen ergeben, die ja vom Zugang, von der Methode her ähnlich sind? Seidl : Ich kann das vielleicht so beantworten: Ich habe nie vorgehabt, Dokumentarfilme zu drehen. Für mich hat Dokumentarfilm - und es waren ja keine Dokumentarfilme im herkömmlichen Sinn - zunächst bedeutet, mit einer großen Freiheit Filme zu machen. Das heißt, ich musste kein Drehbuch abgeben und dann - aufgrund von Einwänden der Gremien usw. - daran herumdoktern, bis das Leben aus dem Drehbuch draußen ist, um schlussendlich den Film drehen zu können. Für mich war jeder Film eine Suche. Jeder Film heißt für mich, in eine Welt hineinzugehen, in dieser Welt etwas zu erleben, etwas zu suchen und zu finden. Und das hätte ich mit den Mitteln des herkömmlichen Spielfilms nie machen können.
Foto: Filmladen - Filmmuseum
Seidl; "Models"; "Tierische Liebe"
STANDARD: Ihr filmisches Weltbild wird häufig als einseitig negativ angegriffen. Seidl : Aber das ist es ja gar nicht. Das ist es vielleicht auf den ersten Blick, auf den zweiten Blick sieht es anders aus - da geht es natürlich um die Würde des Menschen, um einen Schrei nach Liebe. Und in aller dargestellten Hässlichkeit gibt es ja auch Sehnsucht und Wünsche und Schönheit. Die drei Frauen in Mit Verlust ist zu rechnen zum Beispiel, die haben mein Leben bereichert. Auch wenn sie in vieler Hinsicht gescheitert sind, es schwer hatten, haben diese Frauen doch eine Kraft und eine Individualität, und das ist für mich etwas sehr Positives.
Hundstage auf der Diagonale:
Royal English Cinema: Do. 21. 3., 15:00; So. 24. 3., 13:00


www.hundstage.at -- Filmladen Verleih

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 1. 2002)