Lambchop
Is A Woman
(City Slang/Virgin)

Foto: Virgin
Mit intimen Balladen aus Versatzstücken von Country- und Soul-Musik arbeiten Lambchop nun schon sechs wunderbare Alben lang an einem originären Gegenentwurf zum Nashville-Mainstream. Nostalgie kann Kurt Wagner als eine immer wieder auftauchende Assoziation zu der Musik seiner Band Lambchop zwar nachvollziehen, als Arbeitsansatz gilt sie ihm jedoch als verboten. Der ruhige Brillenträger wirkt beim Auftauchen des Begriffs deshalb kurz unrund, zieht seine Baseball-Mütze tiefer ins Gesicht und räumt dieses mögliche Missverständnis sofort aus. In aller Ruhe: "Damit das klar ist. Nichts gegen Nostalgie, aber sie bremst. Und wir wollen mit unserer Musik weiterkommen. So wichtig der Blick in die Vergangenheit auch ist, unser Ehrgeiz ist es, etwas zu schaffen, was es nicht bereits einmal gegeben hat. Nostalgie hemmt, weil sie das Bewahrende in sich birgt. Und wir sehen uns nicht als Konservierer irgendwelcher Musik." So weit, so grundsätzlich. Die Mütze wandert wieder nach oben. Is A Woman , der eben erschienene sechste Longplayer von Lambchop, unterstreicht dieses Wagnersche Manifest: Lambchop verdichten und variieren darauf in intimer Balladenform Versatzstücke von Country und Soul. Dabei streifen sie auch den Zeitlupen-Funk des von Wagner sehr verehrten Curtis Mayfield oder covern gnadenlos Sisters Of Mercy's This Corrosion - auf zärtlich. Wagner: "Soul, Rhythm and Blues, Country, Rock'n'Roll - das ist die Musik, mit der die meisten von uns aufgewachsen sind, und wir entwickelten mit der Band daraus eine eigene Sprache, mit der wir uns mitteilen können. Eine Sprache, die nicht jeder spricht und auch nicht jeder versteht: Sie ist etwas faul, aber engagiert, zurückhaltend, aber nicht feig." Aber warum - nach mehreren wunderbaren Soul-Coverversionen - warum nun ausgerechnet die Gruftie-Hymne This Corrosion ? Wagner grinst und kratzt sich die mit ihm verwachsen scheinende Baseball-Mütze: "Uns ist das selber peinlich, aber wir mögen das komische Pathos dieses Songs." Das rund zwölfköpfige Ensemble praktiziert damit jedenfalls einen ziemlich einzigartigen Balanceakt zwischen größtmöglicher Zurückhaltung und dem Schöpfen aus dem Vollen. Das Ergebnis klingt entsprechend originär und radikal entgegengesetzt zu dem, was sonst aus Nashville, Tennessee, kommt. Jener Stadt also, die in den 50er- und 60er-Jahren zur Country-Musik-Metropole der Welt wuchs, um in Folge bis zum heutigen Tag konsequent Verrat an der eigenen Sache zu begehen und den Soul des weißen Mannes soweit auszudünnen, dass im Vergleich dazu der deutsche Schlager noch als tiefgründig durchgeht. Wie übel ist Nashville wirklich? Wagner: "Es ist tatsächlich schrecklich. Die Verantwortlichen in der Nashville-Musikindustrie haben ihre Liebe zur Musik längst gegen die Liebe zum Geld eingetauscht. Während man in Memphis, das eine mindestens genauso reiche musikalische Vergangenheit aufweist, diese heute noch überall spüren, ja förmlich atmen kann, hat Nashville seine Geschichte verkauft. Es regiert die Musik-Mafia und die hat dafür gesorgt, dass Country zu einer reinen Reproduktionsmaschine verkommen ist." Ein Ende sei nicht abzusehen, denn: "Horseshit sells!" Ähnlich realistisch steht Wagner dem verklärten Mythos des amerikanischen Südens gegenüber, dem die Musik von Lambchop verbunden ist: "Da kurven heute Business-Typen aus Detroit in ihren garagengepflegten BMWs herum, telefonieren übers Handy mit ihrem Wallstreet-Broker, und wenn sie irgendwo einen alten Mann an einer Tankstelle sitzen sehen, halten sie, machen ein Foto mit ihrer Digi-Cam, stellen es ins Internet und glauben, den Geist des Südens eingefangen zu haben. Aber all die Klischees, die Leute wie Faulkner oder Flannery O'Connor kreiert haben, existieren längst nicht mehr. Der Süden besteht heute wie der Rest von Amerika aus Fast-Food-Ketten und Shopping-Malls." Trotz dieser also nicht wirklich erbaulichen Rahmenbedingungen hat Wagner seinen Job an den Nagel gehängt und versucht sich nun als Profi-Musiker: "Ich habe Kunst studiert und anschließend als Tischler gearbeitet. Das war okay, aber nicht wirklich mein Lebensplan. Die Musik bietet mir die Möglichkeit, doch noch kreativ zu arbeiten. Dass wir damit fast nur in Europa ein Publikum erreichen ist zwar traurig, aber es ist besser irgendwo verstanden zu werden, als gar nicht." Sagt's, grinst und kratzt sich wieder einmal an der Mütze. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 3. 2002)