zerlegbarer Tisch aus Eiche (1946)

Fotos: Galerie Engelhorn

Sessel (Ende 30er Jahre) aus französischen Sanatorium

Galerie Engelhorn
Eigentlich ist es erstaunlich, dass nach Jean Prouvé nicht mehrere Preise, diverse Stipendien und verschiedene andere internationale Auszeichnungen benannt sind, dass nicht jeder Designer, der heute Möbel baut, ein zwingendes Jean-Prouvé-Semester zu absolvieren hat, und dass die architektonischen Arbeiten des Mannes nicht zumindest mittels einer eigenen, als Pflichtveranstaltung abgehaltenen Architekturvorlesung Vorschrift für jeden angehenden Architekten sind. Jean Prouvé, der Architekt, der Designer, man ahnt es bereits, hatte seine Qualitäten. Treten wir einen Schritt zurück. Vergessen wir modisches Beiwerk wie den so genannten "Anblick", die "Optik", das "Aussehen" eines Wohn- oder Büroobjektes, sei es ein Tisch, ein Sessel, ein Wandschrank. Betrachten wir vielmehr das, was man die Muskeln und die Seele eines solchen Gegenstandes nennen kann: etwa die Art und Weise, wie man bequem tafelt, wie sich ein Sessel den vielen verschiedenen Arten zu sitzen, zu lungern, zu lehnen, zu schlummern anzupassen imstande ist, wie ein Regal multifunktional allem Eingeordneten folgt, ob hoch, ob flach, ob tief, und - voilà - wir sind mitten in Jean Prouvés Kosmos und beginnen bei näherem Studium zu verstehen, worum es eigentlich geht. Es geht um eine Funktionalität und die der Bequemlichkeit des Benutzers dienende Intelligenz eines Möbels, die, so meinte der französische Ausnahmekonstrukteur, unabdingbar sei, wenn man gute Sachen machen und von seinen Kunden gerne benutzen lassen wolle. Und es geht um das Unmodische, das allerdings mit den modernsten und klügsten Mitteln, die die jeweilige Zeit zu bieten hat, produziert wird. Der große Gestalter Jean Prouvé, versteht sich, ist lange schon von uns gegangen, er starb 1984, seine Nachfolger sind spärlich. 1901 wurde er in Paris geboren und von frühester Jugend an vor allem von seinem Vater Victor zum Allerwichtigsten für jeden kreativen Menschen erzogen: hinschauen und ganz genau darüber nachdenken, wie die Dinge eigentlich funktionieren. Der Sohn des Skulpteurs der Nobelmanufaktur Emile Gallé war bereits früh von den Ideen der modernen Technik besessen, er wollte Autos bauen, Flugzeuge konstruieren, doch das Studium war teuer, Jean musste stattdessen in Paris in die Lehre des Kunstschmieds gehen. Untertags Feuer und Amboss, am Abend Gelehrtengespräche im Freundeskreis rund um den Papa - schon 1924 sperrte der ambitionierte Weltverbesserer in Sachen Design und Konstruktion seine eigene Werkstätte in Nancy auf. Prouvé erkannte rasch, dass das Handwerk seine Blütezeit überschritten hatte und dass mit moderner industrieller Fertigung eine neue Epoche heraufdämmerte. Was seine schon bald in relativen Massen gefertigten Möbel und auch die avantgardistisch-vorfabrizierten Architekturen jedoch so einzigartig und sympathisch macht, ist der Umstand, dass der Tüftler und Perfektionist Prouvé quasi eine Hochzeit von Handwerk und Industrie zustande brachte. Jedes seiner Möbel ist irgendwie von einer charmanten Freundlichkeit beseelt und trotz industrieller Herstellung gefühlsmäßig ein Individualist. Da Prouvé ein unendlicher Tüftler und Perfektionist war, sind seine Möbel, vor allem die Sessel, regelrechte Sitz-Verwöhner. Der Beweis dafür steht derzeit in Wien zum Besitzen bereit, die Verkaufsausstellung "Les Ateliers Jean Prouvé" hat gerade bei Klaus Engelhorn eröffnet. Bis 7. Juni sind dort ausgewählte, vor allem eher späte Möbelexemplare Prouvés zu sehen, wie etwa sein Fauteuil Visiteur (etwa 1940), der rote Armlehnstuhl oder das Bücherregal "Mexican" (1953). Die gezeigten Exemplare stammen aus diversen Sammlungen und stehen zum Verkauf bereit. Als Literaturtipp, sozusagen zur Vorbereitung, sei noch die zweibändige und vorzüglich gemachte Monographie des Designkünstlers, herausgegeben von Peter Sulzer, empfohlen. Sie heißt "Jean Prouvé. Complete Works" und ist in französischer und englischer Sprache vor einiger Zeit im Birkhäuser Verlag erschienen. Der Standard/rondo/08/03/02