Foto: TheStrokes.com/Christopher Wahl
www.thestrokes.com
Mit der Frechheit der Jugend gesegnet, wird hier wieder einmal von New York aus der Rock 'n' Roll gerettet, mit kleinen, dreckigen und bei Velvet Underground abgeschauten Songs.
Von Christian Schachinger
Wien - Wer schon einmal ein Konzert in der New Yorker Mercury Lounge im East Village besucht hat, weiß, dass von hier aus nicht unbedingt Weltkarrieren gestartet werden. Beim Eintritt muss man angeben, welche der drei/vier üblicherweise an einem Abend gebuchten Bands die paar Dollars bekommen soll. Das führt dazu, dass junge Pechvögel oft gratis dort spielen - wie sich auf der Bühne das bekannte Grauen von Amateurbands breit macht, denen man schon von weitem ansieht, dass sie sich auflösen, wenn der Rhythmusgitarrist endlich seinen Magistertitel in Jus gemacht hat und zurück aufs Land geht.
Foto: RCA
The Strokes um Sänger Julian Casablanca (Zweiter von rechts) auf Erfolgskurs mit alten Hüten. Den Jungen gefällt's aber - und das ist im Pop das einzige Kriterium.
Dieses Schicksal, inklusive zwei/drei selbst produzierter Alben bei einem kleinen Label und wohlwollender Besprechungen in Fanzines, wäre sehr wahrscheinlich auch den Strokes beschieden gewesen, die noch vor zwei Jahren dort in der Mercury Lounge vor halb leerem Wohnzimmer aufgetreten sind. Allerdings kam den Strokes um Sänger Julian Casablancas im Vorjahr über den eher zufälligen Karriereumweg London und die "Macher"-Qualitäten des alten Rough-Trade-Labelbosses und Independent-Veteranen Geoff Travis ein dringender britischer Bedarf zugute. Dieser resultiert chronisch aus einer aus dem Hype-Unwesen der dortigen Musikpresse resultierenden Mangelerscheinung. Immerhin hat man in London gnadenlos Woche für Woche einen neuen letzten Schrei zu entdecken und entsprechend zu vermarkten: schön gesehen, schnell geschossen. Ab dafür! Zum einen brauchte die Presse nach der einsetzenden Herzverfettung altbewährter Rüpel wie Oasis und dem skandalös unspektakulären Lebensstil musikalischer Modernitätsverweigerer wie Travis also dringend eine neue Skandaltruppe. Die sollte nicht nur den in den letzten Jahren etwas nach Pflegeheim und Bruce Springsteen riechenden Rock 'n' Roll mit Musik retten, die keine Tasteninstrumente und Stimmgeräte, dafür aber mit überquellenden Aschenbechern vollgestellte "Proberäume" braucht, wohin man sich nach der Sperrstunde zurückziehen kann, um gemeinsam rituell Drogen einzuwerfen. Sexy verwahrlost Zumindest vom öffentlichen Auftreten her sollte es sich dabei schließlich vorzugsweise um junge und sexy verwahrloste Herrschaften handeln, die zu Bekannten auf der Straße nicht "Grüß Gott!", sondern "Fick dich!" sagen und überhaupt die Welt schmolllippig für etwas bestrafen wollen, das sie möglicherweise gar nicht verbrochen hat: Kleine Arschlöcher braucht der Rock 'n' Roll! Mit der Kultur der Niedlichen hat das Genre selten etwas am Hut gehabt - wenn man davon ausgeht, dass man mit Rock 'n' Roll eher die Sex Pistols meint und beim Stichwort "New York in den späten 60er-Jahren" an Velvet Underground und nicht an Simon & Garfunkel denkt. Hilfreich für den Erfolg der Strokes ist auch, dass das Pop-Publikum im Zehn- jahresrhythmus ausgewechselt wird, weil die Älteren irgendwann müde werden, CDs aufzulegen, wenn man ja daheim Radioempfang hat. Deshalb kann sich auch niemand von der nachgewachsenen Käuferschicht mehr daran erinnern, dass diese neue Karawane, die an einem jetzt vorbeizieht, womöglich bloß im Kreis gegangen ist und man das alles schon einmal hätte sehen können. Im Falle der Strokes bedeutet dies neben dem angewiderten Nichtgesang von Julian Casablancas, der akustisch wie inhaltlich an einen Telefonanruf von einem Cousin erinnert, den man nicht mag, dass die simpel und rumpelig, immer leicht hoppertatschig neben dem Takt gestrickten und bewusst "billig" und "undergroundig" produzierten Songs des Ende 2001 veröffentlichten ersten Strokes-Albums, Is This It , tatsächlich Note für Note nach Ideenklau bei New Yorker Underground-Altvorderen wie eben Velvet Underground oder Television klingt. Willkommen in der Kirche von Lou Reed! Den Jungen gefällt es. Warum soll man sich auch mit alten Säcken wie Lou Reed abgeben, wenn die Kopie hübscher anzusehen ist? Und die Alten können sich zur Not mit ihrer Vier-CD-Box von unveröffentlichten Velvet-Underground-Demo-Tapes auf die Ofenbank zurückziehen und das tun, was dem Alter gebührt: Sie können maulen. Originalität und Wahrhaftigkeit im Pop? Ha, ha, ha! Allerdings sollten die Strokes der britischen Presse einen Gefallen tun und ein wenig mehr Randale, Exzesse und Stinkefinger liefern. Das Rundherum der Band ist bei allem verwegenen Posieren auf der Bühne noch entschieden ausbaufähig.
Live: Sa., 12. 3., Pepsi Music Club, 1020 Wien, Messegelände, (01) 726 56 65. 20.00
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 3. 2002)