Lima - Vor dem Präsidentenpalast in Perus Hauptstadt Lima demonstrieren seit Wochen täglich Hunderte Menschen. Wasserwerfer sind aufgefahren, berittene Polizisten bedrängen Demonstranten, die schreien: "Toledo, carajo, dónde está el trabajo" (Toledo, verdammt, wo ist die Arbeit). Im Büro von Präsident Alejandro Toledo ist davon nichts zu hören, die Botschaft ist aber zu ihm vorgedrungen. Toledo spricht im Standard-Interview zwar von "manipulierten Demonstrationen", räumt aber ein: "Wir haben etwas geschafft, aber noch nicht genug. Und ich bin bereit, den politischen Preis zu zahlen, dass bisher nicht alles positiv gesehen wird." Der 55-Jährige trat mit seiner Mitte-links-Regierung vor einem halben Jahr die Nachfolge von Alberto Fujimori an, der nach Korruptions- und Betrugsaffären in sein Stammland Japan floh und in Peru ein Chaos hinterließ. Aber auch Toledo hat Probleme. Drei Minister von "Peru Posible" mussten bereits zurücktreten und wurden durch Unabhängige ersetzt, sodass derzeit kein Kabinettsmitglied Toledos Partei angehört. Toledo rechnet sich an, dass er Peru aus der Rezession geführt hat. Der 26-Millionen- Einwohner-Staat wird heuer mit einer Rate von bis zu fünf Prozent das höchste Wirtschaftswachstum in Lateinamerika haben. Das Vertrauen der Finanzwelt sei wieder hergestellt, aber die "die neue Realität in der Wirtschaft hat sich noch nicht in Arbeitsplätze umgewandelt", sagt Toledo, der 400.000 neue Stellen versprochen hat. Er werde aber auf keinen Fall in einen Populismus verfallen und die Staatsverschuldung erhöhen, verspricht Toledo, dem selbst Populismus vorgeworfen wird. Ob er die Enttäuschung der Armen verstehen könne? "Man kann nicht die Probleme von heute auf morgen lösen und die gerechten Forderungen der Massen erfüllen." Er verweist darauf, dass er mithilfe der internationalen Gemeinschaft - immerhin 1,8 Milliarden Dollar - "eine Art Marshallplan mit sozialen Notprogrammen" geschaffen hat: für den Hausbau, zur Schaffung von Straßen und Arbeitsplätzen auf dem Land. "Die 54 Prozent der Peruaner, die unter der Armutsgrenze leben, und die 16 Prozent, die in extremer Armut leben, können nicht warten. Ich bin ein Krieger gegen die Armut und ein Fanatiker von Bildung. Ich selbst bin der lebendige Beweis, was die Bildung ausmacht." Dem Elend entkommen Aufgewachsen in einem armen Andendorf, hatte der indianischstämmige Toledo die Chance auf ein Stipendium in den USA bekommen. Nach dem Ökonomiestudium arbeitete er unter anderem bei der Weltbank. "Ich kann die Armut nicht vergessen. Die sozialen Investitionen in Gesundheit, Ausbildung und Justiz haben für mich deshalb höchste Priorität. Das ist das menschliche Gesicht der Marktwirtschaft." Und: "Was in Argentinien passiert, betrifft Peru und die ganze Welt." Toledo fordert auch die Hilfe der Europäer für die weitere Entwicklung Lateinamerikas ein: "Sie sollen uns nicht Nahrungsmittel schenken. Sie müssen die Märkte öffnen und wir werden genau das Gleiche machen." Millionen Lateinamerikaner seien auch ein potenziell großer Markt. (afs, Der STANDARD, Printausgabe 6.3.2002)