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Foto: REUTERS/Arnd Wiegmann
Berlin - TV-Star Mario Adorf steht nach 18 Jahren wieder auf der Bühne, im Berliner Renaissance-Theater, wo er zuletzt mit Hardy Krüger zu sehen war. Diesmal ist er "Der Mann des Zufalls", ein bekannter Schriftsteller, der im Zug neben einer Unbekannten sitzt, die sein letztes Buch dabei hat und auch ihn zu kennen meint. Ilse Ritter ist, zauberisch flirrend, die Frau, die sich nicht traut, ihn anzusprechen. So denkt sie laut über sich, über ihn nach. Monologe, die gerne zu Dialogen würden. Auch der berühmte Autor redet mit sich, denkt über sich nach, gelassen und bitter zugleich. Er wird alt. Noch schlimmer: Seine Tochter will einen Mann heiraten, der viel älter ist als sie. Das macht auch den Vater noch älter. Yasmina Reza hat das Stück geschrieben, das so gar nicht auf die Bühne zu passen scheint. Und wohl dort auch nie gelandet wäre, hätte die Schauspielerin und Regisseurin nicht mit Kunst einen Welterfolg gelandet, den das Renaissance-Theater weiter nutzt, nachdem am Lehniner Platz eine neue Direktion eingezogen ist. Die kosmopolitische Bühnenautorin, 1957 mit russisch-persisch-jüdisch-ungarischem Familienhintergrund in Paris geboren, hält auf Lebensnähe. Auch diese Story ist autobiografisch. In ihrem Quartier sah sie Emile M. Cioran flanieren, traute sich aber nicht, den berühmten, bewunderten Autor philosophischer Essays anzusprechen. So entstand diese theatralische Fingerübung. Wie alles von ihr gescheit, leichthin, elegant, intelligent an der Oberfläche schwebend, von deutschem Tiefsinn unzerfurcht. Bei allem Charme aber doch auch ohne Scham, dem duftigen Soufflé ein paar Bit-terstoffe beizufügen, die Scherz, Satire, Ironie mehr tiefere Bedeutung anheften, als letztlich drin ist. So verwundert nicht, dass Der Mann des Zufalls , 1993 entstanden, erst einmal als Hörspiel produziert wurde. Erst nach dem Kunst -Erfolg setzte die Autorin ihn selbst in Paris in Szene. In Berlin profitiert der Abend von Harald Clemens sensibler Regie: Der gibt der Tagesware nicht mehr Gewicht, als sie hat, folgt aber ihrer musikalischen Struktur und hat im geschickt aufgeklappten Großraumabteil von Martin Kukulies einen trefflichen Trumpf in der Musik: Peter Kaizar entwickelt aus dem sanft ratternden Rhythmus des Zuges einen leichthin jazzigen Soundtrack. Davor, darin, damit bewegen sich Ilse Ritter und Mario Adorf hinreißend unangestrengt: versonnen, schüchtern, nachdenklich, ernst und heiter die nicht mehr junge Frau; gallig, humorig, selbstkritisch der noch nicht alte Mann. Die Monologe kommen einander näher, ein kurzer Dialog führt beide zusammen. Dann läuft der Zug in Frankfurt ein. Das Impromptu endet - in der Schwebe. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6. 3. 2002)