Claus Philipp

Wien - Eine opulente Präsentation einer "rekonstruierten Einabend-Fassung" samt neuer Begleitmusik im Wiener Konzerthaus, eine Videoedition ebendieser Kombination von Film und Musik und ein opulenter Essay- und Bildband, wie er sonst in Österreich zum Thema Kino kaum jemals publiziert wird. Wer denkt, mit derartigen Maßnahmen könnte und sollte man nur die Rekonstruktion von Meilensteinen der Filmgeschichte bedenken, der wird derzeit vom rührigen Filmarchiv Austria eines Schlimmeren belehrt.

Sodom und Gomorrha, 1920/21 in und rund um Wien als Monumentalspektakel der Sascha-Film inszeniert, ist aus heutiger Sicht bestenfalls als fragwürdiger Anfall von provinzieller Großmannssucht "historisch". Interessant ist natürlich, dass Regisseur Michael Kertész später als Michael Curtis Casablanca inszenierte. Und sozialhistorisch verstört die Tatsache, dass am Laaer Berg Heere von Arbeitslosen in historischen Kostümen Altes Testament spielen durften. Dennoch: In seiner kruden Mischung aus schlüpfriger Effekthascherei und pseudokatholischem Moralismus rechtfertigt dieser Film in keinster Weise den Präsentationsaufwand.

Perlen in einem kinematographischen Saustall

Entsprechend bekichert wurde er am vergangenen Wochenende denn auch bei zwei Vorführungen im Konzerthaus, wobei sich das Wiener Kammerorchester unter Helmut Imig geradezu rührend engagierte, aber letztlich doch nur Perlen in einen kinematographischen Saustall warf: Läppische Theatralik, voyeuristische Blicke auf Sünde (möglichst mit Rufzeichen), unfreiwillig komische Texttafeln - kurz: Schwachsinn, der vielleicht in kleinerem Rahmen (bei der Diagonale etwa) als Skurrilität und historische Fußnote durchgehen würde.

Noch einmal sei betont: Die Möglichkeiten heimischer Filmwissenschafter zu forschen und zu publizieren sind verschwindend gering. Vor diesem Hintergrund sei das Filmarchiv Austria gebeten, seine Prioritäten klüger zu setzen. Mit halbwitziger Gaukelei Mediokritäten ins Endlose zu treiben macht vielleicht auf die Schnelle mehr PR. Gut durchdacht, geschweige denn seriös ist es nicht.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 05.03. 2002)