Er ist in den letzten Wochen in so gut wie jeden Grazer Haushalt geflattert: "Der Kriminalitätsatlas der Stadt Graz". Er soll, laut Vorwort von Dr. Weinmeister, Bürgermeisterstellvertreter und Stadtrat für die FPÖ, Aufklärungsarbeit leisten, denn "... immer mehr Menschen fürchten um ihre Sicherheit - persönlich oder im Hinblick auf ihren Besitz ... Der Grund liegt vor allem darin, dass wir stets nur Einzelinformationen erhalten und wenig über Häufigkeit, Örtlichkeit oder begünstigende Faktoren der Straftaten wissen." "Aufklärung" durch die Ausweisung besonders gefährlicher Bezirke? Verwendet wurden Daten aus dem Jahre 1996 und dem ersten Quartal 1999. Mit Hilfe einer thematischen Karte der Stadt Graz werden durch Aufarbeitung der 15525 Strafdelikte besonders gefährdete Bezirke ausgewiesen und welche Straftaten wo am häufigsten passieren. "Selbstschutz ist wichtig - Gelegenheit macht Diebe"? Ein eigener Teil zum Thema Prävention will zur Selbsthilfe auffordern. Auszug aus dem Kapitel Sexualdelikte: "Mehr als die Hälfte der angezeigten Sexualdelikte ereignet sich im Freien, überwiegend in der warmen Jahreszeit, in der Frauen oft spärlich bekleidet sind. Wenn Wege - besonders in der Dunkelheit - allein zurückzulegen sind, sollte man es vermeiden, allzu "freizügig" zu wirken. Gegebenfalls sollte Kleidung zum Um- und Überziehen mitgenommen werden." Auch gegen Einbruch werden gute Tipps wie die Anschaffung eines Wachhundes, der Aufbau guter nachbarschaftlicher Kontakte im Sinne eines gegenseitigen Schutzes oder die Nutzung von privaten Wachdiensten geboten. Die Innenstadt, der vermeintliche Knotenpunkt jeglicher Kriminalität, überlebt mensch unbeschadet, wenn Wertgegenstände in verschließbaren Bauchtäschchen aufbewahrt werden, oder im Gedränge die Hand auf der Handtasche behalten wird. Ausgrenzung - Angstmache - Opfer als TäterIn Sehr bedenklich erscheint das Niveau dieses "Atlas der Kriminalität", sehr offensichtlich seine Intention. Im Wechsel von der Arbeits- zur Freizeitgesellschaft (Anstieg der Freizeit von 1950-1990 täglich von 1,5h auf 4,1h, jährlich von 1,8 Wochen auf 6 Wochen)* wird die Stadt immer wichtigerer Spielplatz für Konsum- und Eventkultur. Es gilt die Stadt sicher und somit (ökonomisch) be-nutzbar zu machen. So werden nun die Innenstadtbezirke als besonders gefährlich ausgewiesen, ein Grund mehr um die 24 Stunden-Überwachungskamera am Hauptplatz zu argumentieren. Ebenso ergeht es den Bezirken auf der anderen Seite der Mur, von jeher unterpriviligiert und mit dem Kreislauf "schlechtes Prestige - schlechte Infrastruktur - schlechte Bausubstanz - wenig Investitionsbemühungen - hoher AusländerInnenanteil und wieder von vorn" zu kämpfen haben. Ein besonderes Highlight des von Weinmeister als "pionierhafte wissenschaftliche Arbeit" gelobten Atlas ist der bereits erwähnte Teil über die Prävention von Sexualdelikten. Da wird als Präventionsmaßnahme den Frauen geraten, sie sollten doch schauen, dass sie nicht zu "freizügig wirken". Aha. Grund und Auslöser der Vergewaltigungen sind also doch die Frauen selber. Und nicht überholte Rollenklischees, anerzogene Machtbestrebungen... Leider fördert dieser Atlas weder Aufklärung, noch dient er der Prävention. Was er unterstützt ist aber: Segregation, Angst und damit die Argumentation für die weitere Verstärkung polizeilicher Kontrollmechanismen. (e_mu) *Alexander Hamedinger in derive Nr.3, Freizeitpolitik und Stadtplanung, Wien 2000