"Seit Napoleon sind nie mehr fremde Truppen in die Schweiz einmarschiert. Unsere Neutralität hat uns davor bewahrt, zum Kriegsschauplatz zu werden." So begründet Hans Fehr von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei im Gespräch mit dem STANDARD seinen Kampf gegen einen UNO-Beitritt der Schweiz. Sonntag ist es so weit - die Schweizer stimmen darüber ab, ob ihr Land, das inzwischen neben dem Vatikan als einziger Staat nicht der UNO angehört, der Weltorganisation beitreten soll. Und die Gegner berufen sich vor allem darauf, dass ein UNO-Beitritt nicht mit der Neutralität der Schweiz vereinbar sei. "Die Schweiz müsste Sanktionen und Boykotte mittragen, Soldaten in den Krieg schicken, fremden Truppen Durchmarschrechte gewähren", so Fehr. "Warum sollten wir das Erfolgsmodell unserer Neutralität opfern?"Umgekehrt sehen es der Bundesrat und die meisten Schweizer Parteien: Nur innerhalb der UNO könne die Schweizer Neutralität dauerhaft gesichert und weiterentwickelt werden. Mit einer ausdrücklichen Neutralitätserklärung, die dem UNO-Beitrittsgesuch vorangestellt werden soll, hofft der Bundesrat die Gegner zu besänftigen. Die Schweizer Neutralität geht zurück auf die Schlacht von Marignano in Norditalien Anno 1515, die für die Eidgenossen mit einer Niederlage endete und ihre Expansionsgelüste beendete. Über die Geschichte der Schweizer Neutralität schrieb der Berner Historiker Tobias Kästli unlängst: "Als 1545 die Truppen Kaiser Karls V. gegen die deutschen Protestanten kämpften, erklärte die eidgenössische Tagsatzung unbedingte Neutralität. Die Eidgenossen wollten sich nicht in den Glaubenskrieg hineinziehen lassen, weil sonst die religiös gespaltene Schweiz auseinander gerissen worden wäre." Aus Konflikten heraushalten In erster Linie waren es also innenpolitische Gründe, die die Eidgenossen dazu brachten, "sich nicht in fremde Händel zu mischen" und "den Zaun nicht zu weit zu stecken", wie der Nationalheilige Niklaus von Flüe predigte. Das nicht nur konfessionell, sondern auch sprachlich gespaltene Land war nur zusammenzuhalten, wenn es sich aus Konflikten heraushielt, um das innenpolitische Gefüge nicht zu stark zu belasten. Der Wiener Kongress bescheinigte den Eidgenossenschaft ihre "immer währende" Neutralität. Im Ersten Weltkrieg wäre die Schweiz wohl entlang der Sprachgrenze zerrissen worden, hätte sie sich auf die Seite Frankreichs oder des Deutschen Reiches gestellt. Auch den Zweiten Weltkrieg überstand die Schweiz nicht zuletzt dank ihrer Neutralität unbeschadet; freilich zeigen die neuen Forschungen der Bergier-Historiker-Kommission, dass etwa auch die wirtschaftliche Kooperation mit den Achsenmächten dazu beitrug, die Schweiz aus dem Krieg herauszuhalten. Erst mit dem Ende des Kalten Krieges, wurde die Schweizer Neutralitätspolitik flexibler, so Historiker Kästli: "Die Außenpolitik rückte vom Sonderfalldenken ab. In Übereinstimmung mit der UNO trug die Schweiz Boykottmaßnahmen gegen Staaten mit, die sich schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig machten." Schwarzer Herbst 2001 Spätestens am 11. September 2001 - und noch mehr mit dem folgenden Zusammenbruch des Nationalsymbols Swiss Air (Schwarzer Herbst 2001) - scheint vielen Schweizern bewusst geworden zu sein, dass der "Sonderfall Schweiz", der nationale Alleingang eines Kleinstaates in einer vernetzten Welt, endgültig ausgedient hat. "Es gibt Probleme, die nur durch die Völkergemeinschaft gelöst werden können - die Bestrafung von Kriegsverbrechern oder an die Verfolgung des internationalen Terrorismus. Das könnte ja auch unser Land betreffen", sagte der Schweizer Bundespräsident Moritz Leuenberger zum STANDARD. (DER STANDARD, Printausgabe, 2./3.3.2002)