Berlin - Die deutsche Regierung hat die umstrittene
Änderung der Arbeitslosenstatistik auf die Zeit nach der
Bundestagswahl verschoben. "Die Bundesregierung hat nicht die
Absicht, die Arbeitslosenstatistik in dieser Legislaturperiode zu
ändern", sagte Arbeits-Staatssekretär Gerd Andres (SPD) am Mittwoch
in Berlin. Er begründete den Aufschub mit der erwarteten Besserung
der Lage am Arbeitsmarkt, die durch die Vorwürfe der Opposition zur
Statistikänderung nur kaputt geredet würde. Die Opposition hatte
zuvor kritisiert, die Regierung wolle mit geschönten Statistiken von
ihrem Versagen in der Arbeitsmarktpolitik ablenken.
Das Arbeitsministerium hatte am Wochenende angekündigt, die
Arbeitslosenstatistik neu zu fassen. Erwerbslose, die nicht ernsthaft
nach einer Stelle suchen, sollen danach zusätzlich zur bisherigen
Statistik gesondert aufgeführt werden. Dies würde rund 1,2 Millionen
der derzeit 4,3 Millionen Arbeitslosen betreffen. Die Union hatte der
Regierung vorgeworfen, mit Statistikänderungen die Zahl der
Arbeitslosen herunterrechnen zu wollen.
Andres begründete den Aufschub mit der erwarteten Aufhellung der
Lage am Arbeitsmarkt. "Die Regierung will die bessere Lage am
Arbeitsmarkt nicht durch den Vorwurf der Opposition diskreditieren
lassen, dass sie die Statistik manipuliert", sagte er. Der Zweck der
Änderung gehe jedoch angesichts der Vorwürfe der Opposition unter.
"Die Regierung ist aber weiter der Meinung, dass eine Änderung
sinnvoll ist", fügte er hinzu. Der Opposition warf Andres in der
Debatte vor, "selbst den Karren in den Dreck gezogen zu haben" und
jetzt andere mit "Dreck zu bewerfen".
Die Arbeitsmarkt-Expertin der Grünen, Vera Dückert, sagte, mit der
Verschiebung sei für die Opposition ein neues Wahlkampfthema wie eine
Seifenblase zerplatzt. "Wir lassen uns von einer solchen Opposition
nicht in die Lage bringen, von Schönfärberei zu reden", fügte sie
hinzu. Das Thema werde nun in Ruhe diskutiert. Dückert selbst hatte
Riester in den letzten Tagen vorgeworfen, den Zeitpunkt für eine
Änderung der Arbeitslosenstatistik schlecht gewählt zu haben.
Der FDP-Arbeitsmarktexperte Dirk Niebel sagte in der akuellen
Stunde des Bundestags, der Rückzug von Riester zeige, dass er keine
Rückendeckung im Kabinett und in der Fraktion besitze. "Der Kanzler
hat die Problematik erkannt, der in dieser Zeitnähe zur
Bundestagswahl liegt und hat sie zurückgepfiffen", fügte er an
Riester gerichtet hinzu. Wenn die Regierung eine ehrliche Statistik
wolle, müsse sie auch die Arbeitsbeschaffungs- und
Strukturanpassungsmaßnahmen in die Statistik mit einbeziehen.
Gleiches gelte für die sogenannte stille Reserve an Arbeitssuchenden,
die sich nicht arbeitslos gemeldet habe.
Der CDU-Abgeordnete Andreas Storm warf der Regierung "Tricksereien
und Täuschungsmanöver" vor. Die geplante Statistikänderung sei ein
fatales gesellschaftspolitisches Signal, da sie zeige, dass die
Regierung die älteren Arbeitslosen über 58 Jahre abgeschrieben habe,
die rund die Hälfte der 1,2 Millionen gesondert auszuweisenden
Arbeitslosen ausmache.
Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye sagte am Mittwoch, bei der
Bundesregierung denke niemand daran, auch nur einen Arbeitslosen aus
der Statistik herauszurechnen. Die BA-Reformkommission unter Peter
Hartz werde sich nun mit dem Thema befassen und Vorschläge für eine
Änderung der Statistik erarbeiten. DGB-Chef Dieter Schulte hatte
zuvor der der "Berliner Zeitung" gesagt, der Kanzler teile seine
Meinung, dass eine Bereinigung der Arbeitslosenzahlen zum
gegenwärtigen Zeitpunkt "absolut falsch" wäre. "Die Bundesregierung
will sich nicht dem Vorwurf der Schönfärberei aussetzen", sagte
Schulte.(APA/Reuters)