Die Armutsforscherin Karin Heitzmann von der WU Wien stellt im Gespräch mit Lisa Nimmervoll dem österreichischen Sozialstaat ein zwiespältiges Zeugnis aus. Viele Sozialleistungen wirken nachweislich armutslindernd. Trotzdem gibt es fast eine Million armutsgefährdete Menschen.STANDARD: Wie sozial ist Österreich? Heitzmann: Im EU-Vergleich steigen wir relativ gut aus. Nur Finnland, die Niederlande und Dänemark haben niedrigere Armutsgefährdungsquoten als Österreich. Trotzdem gibt es hierzulande 900.000 armutsgefährdete Personen. Das sind etwa elf Prozent der Gesamtbevölkerung. Für ein reiches Land wie Österreich könnte man sagen, dass das nicht sehr sozial ist. STANDARD: Wer ist am stärksten von Armut bedroht? Heitzmann: Generell verantwortlich für Armut ist Arbeitslosigkeit, aber auch schlechte Ausbildung, die oft in Niedriglohnbranchen endet. Aber auch typische Haushalts- und Familienstrukturen sind betroffen. Alleinerzieherinnen, Familien mit vielen Kindern, Migrantinnen und Migranten, die zum Teil nicht einmal ihre Grundbedürfnisse stillen können. STANDARD: Ist Armut weiblich? Heitzmann: Frauen weisen eine durchwegs höhere Armutsquote auf als Männer. Besonders besorgniserregend ist, dass Frauen im Vergleich zu Männern nicht nur überproportional von Armut betroffen sind, sondern dass sie auch überdurchschnittlich lange arm bleiben. STANDARD: Können Sozialleistungen Armut verhindern? Heitzmann: Die Sozialleistungen in Österreich wirken schon armutslindernd. Im allgemeinen wurden Armutsgefährdungsraten der Erwerbsbevölkerung in Österreich durch öffentliche Sozialleistungen in den 90er- Jahren halbiert. STANDARD: Die Regierung sieht im Kindergeld auch eine armutsbekämpfende Maßnahme. Sehen Sie das auch so? Heitzmann: Man kann es auf zweifache Art interpretieren. Von ihrer Wirkung her ist jede Einkommensersatzleistung - also auch das Kindergeld - eine Art Umverteilungsleistung. Damit sinkt für armutsgefährdete Personen das Risiko, unter die Armutsgrenze zu fallen. Längerfristig betrachtet ist das Kindergeld allerdings problematisch, weil es Anreize für Frauen setzt, aus dem Arbeitsmarkt auszuscheiden - und damit eine Personengruppe anspricht, die ohnehin schon überproportional von Armutsgefährdung betroffen ist. (DER STANDARD, Printausgabe 27.02.2002)