Die Fresken von Giotto mit 103 Bildmotiven in der Cappella degli Scrovegni von Padua sind ein Meisterwerk spätmittelalterlicher Malerei. Nun wurden sie renoviert: Die Wiedereröffnung der Kapelle im März wird "das" Ereignis des Frühlings in Italien sein.
Foto: Carriero Rubino
Giotto erweist sich überraschend als Meister eines nuancierten Farbeinsatzes, der Körperlichkeit über die Umrisszeichnung hinaus erzielt: Detail der "Inferno"-Szene
In Padua kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Die Bilder der berühmten Arena-Kapelle werden gesäubert - und ein Schleier scheint von ihnen abzufallen. Plötzlich erkennt man, wie den klagenden Frauen beim Kindermord von Bethlehem feine Tränen aus den Augen laufen oder wie zärtlich die greise Anna mit dem Barthaar ihres Mannes Joachim spielt. Die Freskenzyklen des großen toskanischen Malers Giotto di Bondone (1267-1337) in Assisi und Florenz, in Padua und Rom werden seit Vasari als Beginn der Malerei der Neuzeit bezeichnet. Sie sind immer wieder beschrieben, interpretiert und kommentiert worden. Ihre monumentale und zugleich franziskanisch-naive Erzählweise haben den Künstler zu einem Lieblingsmaler breiter Volksschichten werden lassen. Wenn es eine Liste der meistverkauften Postkarten mit Kunstmotiven in Italien geben würde, gehörte Giotto sicher zur Spitzengruppe. Und doch kann ein so bekannter und studierter Maler die Fachwelt überraschen. Seit zehn Monaten restaurieren Fachleute die Fresken mit den Bilderzählungen aus dem Leben der Maria und von Christus, die Giotto Anfang des 14. Jahrhunderts für die Grabkapelle eines stadtbekannten Wucherers malte. Man befreit sie von Schmutz und von Salzablagerungen. Die Restauratoren des Weltruf genießenden Istituto centrale di restauro aus Rom haben "Farblöcher" so weit wie möglich vorsichtig angeglichen, damit die Bilder für den Betrachter wieder "lesbar" werden. Diese Angleichung mit Wasserfarben bleibt aber für das geschulte Augen erkennbar, denn - so der Leiter der Arbeiten, Giuseppe Basile - man könne "Giotto schließlich nicht nachmalen". Besonders die empfindlichen azurblauen Flächen sind streckenweise bis aufs Mauerwerk verblasst und zerstört. Die beiden letzten großen Restaurierungen im 19. Jahrhundert und in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts haben den Verfall teilweise sogar beschleunigt. Dennoch bleibt dieses Meisterwerk der spätmittelalterlichen Malerei in der Cappella degli Scrovegni auf beeindruckende Art rezipierbar und strahlt den Geist der Zeit aus. Wenn es wahr ist, dass jede Restaurierung nur dann eine gute ist, wenn man anschließend das Werk besser versteht, dann scheint das Unternehmen in Padua gelungen. Überraschend ist vor allem der Einsatz der Farbe. Wohl auch aus Zeitgründen - die 103 Bildmotive bedecken eine Gesamtfläche von 900 Quadratmetern und wurden vom Künstler in nur zwei Jahren fertig gestellt - wechselte Giotto immer wieder zwischen der Freskotechnik in den feuchten Putz und der Malerei auf den abgetrockneten Putz. Was die Arbeit der Restauratoren nicht gerade vereinfacht hat. Meister der Nuancen Aber mit dieser Mischtechnik, die die Umrisse "a fresco", Details aber oft "a secco" schuf, erweist sich Giotto heute auch überraschend als Meister eines nuancierten Farbeinsatzes, der Körperlichkeit über die Umrisszeichnungen hinaus erzielt. Gut kann man das zum Beispiel in der Figur des Johannes der Beweinungsszene am Grab Christi erkennen. Wer jetzt auf den Gerüsten der Restauratoren bis unter die Decke klettern durfte, konnte sich auch von anderen überraschenden Details überzeugen, wie zum Beispiel von dem geradezu "theatralischen" Einsatz der glänzenden Rotondi im Glorienschein des Christus im Jüngsten Gericht: Sie sind nicht gemalt, sondern aus Metall. Dazu kommt der deutliche Rückgriff Giottos auf antike Motive und Maltechniken, die im Mittelalter untergegangen waren. Das gilt etwa für die Marmorimitationen. Auch hierin zeigt sich der Toskaner ganz revolutionär gegenüber den noch weitgehend byzantinisch geprägten Malschulen Ende des 13. und zu Anfang des 14. Jahrhunderts. Die gegenwärtigen Restaurierungsarbeiten sind jahrelang vorbereitet worden. Bevor man sich an die Säuberung der Bilder machte und dafür Spitzenkräfte wie Gianluigi Colalucci (Sixtinische Kapelle, Vatikanstadt) und Pinin Brambilla Barcilon (Abendmahl, Mailand) zur Beratung hinzuzog, hatte man die bauliche Struktur der Kapelle konsolidiert und mittels einer atmosphärischen Schleuse - es kann sich immer nur eine kleine Besuchergruppe im Raum aufhalten - die Umweltbelastung verringert. Die Arbeiten (Gesamtkosten 1,8 Millionen Euro) sind bis auf wenige Stellen im Sockelbereich abgeschlossen. An die Fresken mit den sieben Todsünden und den sieben Kardinaltugenden wird letzte Hand gelegt. Die ersten Gerüste fallen bereits. Mitte März möchte man die Restaurierung im Beisein des Staatspräsidenten offiziell vorstellen und die Kapelle wieder dem Publikum öffnen. Keine Frage: Das wird "das" Kulturereignis dieses Frühlings in Italien werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. 2. 2002)