Wien - Die Wehrmachtausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung kommt nach ihrer Überarbeitung und in neuer Form im April und Mai nach Wien. Die Ausstellung wird in Wien als drittem Ausstellungsort nach der Überarbeitung vom 9. April bis 26. Mai 2002 gezeigt. Sie biete einen "wissenschaftlich fundierten, informativen und selbstreflexiven Zugang zum Thema", so Mailath-Pokorny. In Text- und Tondokumenten, Filmausschnitten, Fotos und Feldpostbriefen wird in der Ausstellung die teils aktive, teils passive Mitwirkung der Wehrmacht dokumentiert. Die Schau soll Ausgangspunkt für eine neue Form der Aufarbeitung der Geschichte sein und wird von zahlreichen Veranstaltungen begleitet. So wird der Zeithistoriker Hans Mommsen einen Vortrag zum Thema beisteuern. Debattiert Die korrekt "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944" bezeichnete Ausstellung sorgt seit ihrer ersten Präsentation im Jahr 1995 für heftige Debatten. Dies gilt auch für die bisher sechs österreichischen Ausstellungsorte. Nach Kritik an der wissenschaftlichen Fundierung der Schau war die Ausstellung vom Hamburger Institut für Sozialforschung und seinem Leiter Jan Philipp Reemtsma im Herbst 1999 zurückgezogen worden. Die Neufassung, die ab 9. April im Wiener Semperdepot zu sehen sein wird, wurde seit vergangenem Herbst in Berlin und Bielefeld gezeigt. Die Wehrmachtsausstellung präsentiert sich jetzt mit 1.000 Quadratmetern doppelt so groß wie die alte und mit deutlich mehr Beweisen für die Beteiligung deutscher Soldaten an Kriegsverbrechen in der NS-Zeit. Nach Angaben der verantwortlichen Historikerin Ulrike Jureit handelt es sich um keine überarbeitete Version der alten Schau, sondern etwas komplett Neues. "Wir haben einen neuen Zugang erarbeitet", erklärte sie. Geändert wurde auch der Titel, von "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" in "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944". Umfassenderer Ansatz In sechs Kapiteln wird erläutert, wie die Wehrmacht in die Ermordung von Zivilisten und Kriegsgefangenen verstrickt gewesen ist. Der Ansatz ist deutlich umfassender als in der vorigen Schau, die nur drei Großkampfplätze untersucht hatte. Konservative Kreise hatten sich von Anfang an dagegen gewehrt, dass durch die These einer Beteiligung der Wehrmacht an der systematischen Ermordung von Zivilisten im Zeiten Weltkrieg die Vorstellung von der "sauberen Wehrmacht" im Gegensatz zur verbrecherischen SS oder Gestapo nicht mehr zu halten war. Auch viele frühere Soldaten fühlten sich angegriffen. Reemtsma hingegen betonte mehrfach, dass keine generelle Verurteilung aller Wehrmachtssoldaten beabsichtigt sei. Die Ausstellung zog durch insgesamt 33 Städte in Deutschland und Österreich und hatte insgesamt rund 900.000 Zuschauer. Am 9.März 1998 wurde in Saarbrücken ein Sprengstoffanschlag auf die Ausstellung verübt. Auch in Österreich kam es zu einer Störaktion und zwar in Klagenfurt, wofür zwei Burgenländer wegen Nötigung verurteilt wurden. In Wien war die Ausstellung im Herbst 1995 zu sehen. Inkongruenzen 1999 war Kritik von Historikern an der Schau laut geworden. Manche Bilder passten nicht zu den Bildunterschriften, hieß es. Im Herbst 1999 verkündete Reemtsma daher vorerst ein dreimonatiges Moratorium, ein Jahr später zog er die Ausstellung endgültig zurück. Ein Expertengutachten ergab, dass die Wehrmachtsausstellung zwar Fehler und Ungenauigkeiten aufwies, in ihrer Kernaussage aber richtig gewesen sei. Wörtlich hieß es: "Die Recherchen haben bestätigt, dass von den 1.433 Fotografien der Ausstellung weniger als 20 Fotos nicht in eine Ausstellung über die Wehrmacht gehören." Und - trotz der zum Teil berechtigten Kritik: "Dessen ungeachtet bleiben die Grundaussagen der Ausstellung über die Wehrmacht und den im 'Osten' geführten Vernichtungskrieg der Sache nach richtig." Einbettung Gezeigt wird die Schau "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944" im Rahmen der Initiative "Dialog.Diskussion.Demokratie" im Semperdepot der Akademie der Bildenden Künste. Die Initiative, die sich mit Fragen zu Gewalt und Demokratie im weitesten Sinn auseinander setzen soll, wurde am Mittwoch von Kultur- und Wissenschaftsstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (S) und Vertretern der beteiligten Kunstbetriebe in einer Pressekonferenz präsentiert. Die Initiative "Dialog.Diskussion.Demokratie" soll eine breite Palette an Veranstaltungen "zur Unterstützung eines kritischen weltoffenen Diskurses" bieten. Sie ist auf zwei bis drei Jahre angelegt, im Prinzip aber "open ended", so Mailath-Pokorny. Weitere Veranstaltungen Die Ausstellung "Body Count" (Kunsthalle Wien) etwa widmet sich dem Thema "Kunst und Krieg in Zeiten der Medien". Dabei werden auch die Anschläge des 11. September 2001 in den USA ein Thema sein. Diskussionen und Workshops der Kunsthalle Wien sollen sich vor allem mit der Rolle der Medien in der Kriegsberichterstattung beschäftigen. Das Demokratiezentrum Wien organisiert zum "Jahrestag" der Anschläge eine Tagung und will sich mit der Frage auseinander setzen, welche gesellschaftlichen und politischen Folgen die Berichterstattung über Terror, Gewalt und Kriege hat. Virtueller Informations- und Debattenort ist die Internetplattform Ein weiterer internationaler Workshop wird sich der Sudetenfrage sowie den Benes-Dekrete und ihrer europäischen Bewertung widmen. Der europäische Blickwinkel soll durch die amerikanische Perspektive erweitert werden. Neue gemeinsame Analyse- und Bewertungsfelder sollen die Barrieren nationalstaatlicher Historiographien überwinden helfen. Das Volkstheater schließlich plant ab März eine Reihe von Sonntags-Matineen. Gäste werden der slowenische Psychoanalytiker und Theoretiker Slavoj Zizek, der französische Philosoph und Soziologe Jean Baudrillard und der deutsche Autor und Filmemacher Alexander Kluge sein.(APA)