Tun wir ihm bitte den Gefallen: Ermöglichen wir Haider den Rückzug aus der Bundespolitik, indem wir nicht mehr von ihm reden.Reden wir von entscheidenderen Dingen - von der Verhaiderung der österreichischen Innenpolitik, die schon lange nicht mehr an die Person oder Partei des Kärntner Landeshauptmanns gebunden ist, deren jüngste Auswüchse aber wieder einmal im Schatten seiner Inszenierungen unbemerkt wuchern. DER STANDARD berichtete am 16.2. über den Inhalt der so genannten "Integrationsvereinbarung", die ja Innenminister Strasser zu verantworten hat, obwohl sie so ausgefallen ist, als hätten sie ihm die Freiheitlichen diktiert (siehe dazu auch Barbara Coudenhoves Kolumne, Anm. d. Red.). Demnach werden also Nicht-EU-Ausländer - Neueinwanderer ebenso wie Eingesessene, die noch nicht fünf Jahre in Österreich leben - verpflichtet, für Kurse mit 100 Stunden Deutsch und Landeskunde 363 Euro selbst zu bezahlen, wovon sie nach erfolgreicher Prüfung die Hälfte vom Staat zurückbekommen. Bei Nichtteilnahme drohen Sanktionen von Bußgeldern bis zur Beendigung des Aufenthaltsrechts. Dieses Integrationspaket mutet Immigranten zu, unter Strafandrohungen und mit völlig unzureichenden Mitteln für jene "Integration" selbst aufzukommen, die ihnen bisher von Staats wegen vorenthalten wurde. Eine Verpflichtung erwachsener Menschen, die Schulbank zu drücken, ist jedenfalls ein Eingriff in ihre Autonomie, der besonderer Rechtfertigung bedarf. Das gilt vor allem dann, wenn Immigranten durch den Kursbesuch davon abgehalten werden, sich und ihre Familien durch Erwerbsarbeit zu ernähren. Solch staatlicher Paternalismus ist nur dann legitim, wenn der Eingriff erstens tatsächlich zum Wohl der Betroffenen erfolgt, wenn er zweitens notwendig ist, weil sie nicht selbst in der Lage sind, ihre Interessen zu verfolgen, und wenn drittens die gegenwärtige Freiheitsbeschränkung eine langfristige Erweiterung von Autonomie ermöglicht. In den Niederlanden wurde die verpflichtende Kursteilnahme von Neuzuwanderern angesichts solcher Einwände ausführlich diskutiert und begründet: Das Erlernen der Landessprache ist offensichtlich im Interesse aller Einwanderer, die sich auf lange Sicht niederlassen. Entscheidend ist jedoch, ob dadurch ihre Einstiegs- und Aufstiegschancen am Arbeitsmarkt verbessert werden. Deshalb werden die holländischen Kurse individuell maßgeschneidert gestaltet und begleitet und bieten als Zusatz zum Sprachunterricht soziale und berufliche Orientierungshilfen (statt Staatsbürgerkunde). Am Ende muss natürlich die völlige Freizügigkeit am Arbeitsmarkt stehen, die nach Strassers Plänen aber erst nach fünf Jahren erreicht wird. In den Niederlanden war ein wichtiges Argument für den Pflichtcharakter, dass nur so marginalisierte Gruppen von Langzeitarbeitslosen und Hausfrauen erreicht werden. Für das Integrationsziel mussten auch die Rahmenbedingungen stimmen: 600 (statt 100) Stunden Unterricht, zur Gänze bezahlt von der öffentlichen Hand. Aber nicht nur Immigranten wurden verpflichtet, auch die Gemeinden sollten veranlasst werden, ein flächendeckendes Angebot an Kursen zu entwickeln. Die Verpflichtung gilt zudem nur für echte Neuzuwanderer, weil man nicht rückwirkend die Aufnahmeregeln für bereits Ansässige ändern wollte. Das österreichische Integrationspaket hält keinem einzigen dieser vernünftigen Kriterien für eine Verpflichtung statt. Um seinen Grundgedanken zu begreifen, stellen Sie sich vor, der Gesetzgeber würde das allgemeine Wahlrecht nicht nur durch eine Wahlpflicht ergänzen, sondern darüber hinaus noch bei der Abgabe des Stimmzettels eine Kopfsteuer einheben und bei wiederholtem Fernbleiben die Bürgerrechte aberkennen, dabei aber nicht dafür sorgen, dass in jedem Ort genügend Wahlurnen aufgestellt werden. Kein Wunder, dass das Paket nun nicht mehr Integrationsvertrag, sondern -vereinbarung heißt. Ein Vertrag wird unter Gleichberechtigten abgeschlossen und ist ungültig, wenn eine Seite zur Unterschrift gezwungen wurde. Es fragt sich jedoch, wer diese Vereinbarung mit wem geschlossen hat. Immigranten waren daran wohl nicht beteiligt. Also liegt der Verdacht nahe, dass es eine Vereinbarung zwischen den Regierungsparteien ist, die Integrationspolitik den Freiheitlichen zu überlassen. *Der Autor ist Politikwissenschafter und Mitarbeiter der Forschungsstelle für Institutionellen Wandel und Europäische Integration der Akademie der Wissenschaften. Hinweis: 21.-22.2 - Tagung Sprache und Integration. Der Integrationsvertrag im Vergleich, VHS Favoriten, Arthaberplatz 18, 1100 Wien. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.2.2002)