Man kann es drehen, wie man will. Egal, ob sich der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider von der Bundespolitik verabschiedet oder doch den "Rückzug vom Rückzug" wahr macht: Er wird auf alle Fälle weiterhin eine keiltreibende Kraft der Koalition bleiben. Denn seine Durchsetzungskraft hängt nicht an formalen Kriterien und Funktionen, sondern an der öffentlichen Inszenierung des Dagegenseins.Das hat nachhaltige Auswirkungen auf das Bündnis mit der ÖVP. Die Kanzlerpartei wird dies letztendlich zur Kenntnis nehmen müssen. Denn es ist nicht damit zu rechnen, dass die von Wolfgang Schüssel erhoffte "Zähmung Haiders" noch gelingen wird. Mittlerweile wirft bereits der Wahlkampf seine Schatten voraus, und es ist unwahrscheinlich, dass die FPÖ oder gar Haider in einer solchen Phase gemäßigter werden. Vielmehr ist die formal zweite Partei in der Regierung gezwungen, ihr Profil zu schärfen, will sie nicht weiter auf der Verliererstraße marschieren. Das kann ihr nur gelingen, wenn sie zu ihrem alten Erfolgsrezept aus Zeiten der Opposition zurückkehrt und Sachthemen emotional besetzt. Wie das abläuft, wurde beim Volksbegehren gegen Temelín vorexerziert. In Wirklichkeit ist es nicht darum gegangen, die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks zu verhindern oder höhere Sicherheitsstandards zu erreichen, sondern die EU-Erweiterung zu blockieren. Ein ähnliches Muster ist bei der Diskussion um die Benes-Dekrete erkennbar. Die FPÖ weiß aber nur zu genau, dass die ÖVP in der Erweiterungsfrage nicht nachgeben kann, will sie nicht ihre Seele verkaufen. Eine weitere Bruchlinie zeichnet sich in der sozialen Frage ab. Die FPÖ hat alle ihre Versprechungen für den so genannten kleinen Mann gebrochen. Statt die Steuern und Abgaben zu senken, hält man bei der höchsten Belastungsquote in der Zweiten Republik. Im Gesundheitsbereich belastet die Ambulanzgebühr in erster Linie die klassische FPÖ-Klientel. Die Besteuerung der Unfallrenten trifft die untere Einkommensschicht. Dazu kommt die internationale Rezession mit einer Rekordarbeitslosigkeit. Die Gegensteuerung der Koalition hat zu spät eingesetzt, und Österreich, das in früheren Jahren erfolgreich solche Trends zumindest abfedern konnte, findet sich nun in der unteren Skala der OECD-Länder. Gegen den Unmut der Bürgerinnen und Bürger helfen kein Nulldefizit und auch kein noch so tolles Kindergeld, bei dem sich außerdem die Frage stellt, ob es auf Dauer überhaupt finanzierbar ist. Gänzlich in den Sternen steht, ob sich die Steuerreform ausgeht. Von der Regierung sind in der laufenden Legislaturperiode kaum mehr größere Vorhaben zu erwarten. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass sich die Kluft zwischen der ÖVP, die sich nach wie vor als staatstragende Partei versteht, und den Freiheitlichen, die noch deutlicher als bisher Opposition in der Regierung spielen, weiter vertieft. Und statt wichtige Probleme zu lösen, wird das Land weiter die Befindlichkeiten im Bündnis der Unberechenbaren debattieren. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.2.2002)