Silvio Berlusconi setzte dem spanischen Außenminister Josep Piqué vergangenes Wochenende buchstäblich Hörner auf. Mit ausgestrecktem kleinen Finger und Zeigefinger machte der italienische Premier den Gastgeber beim "Familienfoto" der Außenminister in Cáceres zur Witzfigur. Bei der anschließenden Pressekonferenz hatte der Italiener die Lacher auf seiner Seite. Dem gehörnten Spanier blieb nichts anderes übrig, als von einer "optischen Täuschung" zu sprechen, der die Zeugen der bizarren Szene erlegen sein sollen.

Mag die derbe Geste nun ein deplatzierter Schülerschmäh oder eine bewusst hinterfotzige Provokation des milliardenschweren Nebenerwerbs- politikers gewesen sein - die Episode zeigt allemal: Der italienische Ministerpräsident und Außenminister in Personalunion nimmt es im Umgang mit der EU, ihren Grundsätzen, Usancen und Exponenten nicht so genau.

Davon zeugen auch die Geschichten, die Berlusconi seinen Kollegen in Spanien im Zusammenhang mit der Neubesetzung des RAI-Managements aufgetischt hat: Die noch vom Linksbündnis Ulivo bestellte Führung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks habe im vergangenen Wahlkampf einen "Anschlag auf die Demokratie" begangen. In einer "skandalösen Offensive" habe die RAI der Linken bis zuletzt unentschlossene Wäh- ler zugetrieben.

Dass Personalfragen öffentlich-rechtlicher Rundfunksender immer auch einer politischen Tendenz entsprechend gelöst werden, dafür steht der ORF als ein feines Beispiel. Und tatsächlich neigte die RAI im Wahlkampf eher dem Ulivo zu. Im Vergleich zum Kampagnenjournalismus auf den Berlusconi-Kanälen allerdings war die Berichterstattung des Staatsfunks mehr als objektiv.

RAI-Präsident Roberto Zaccharia hat angekündigt, sein Verwaltungsrat werde mit Auslaufen des Mandates in jedem Fall zurücktreten. Damit scheint der medien- und demokratiepolitische Super-GAU perfekt: Berlusconi verfügt weiter via Mediaset-Holding über seine TV-Anstalten. Und seine Gefolgsleute auf den Präsidentensesseln von Kammer und Senat bestimmen die Führung der RAI. Der immer wieder beschworene Interessenkonflikt des Premiers scheint nichts mehr zu wiegen; nach einem derzeit diskutierten Gesetz soll allenfalls eine zahnlose Behörde "treuhänderisch" über die Mediaset Berlusconis wachen.

Noch immer gilt in Italien in vielem die Maxime: Alles ist möglich, aber nichts wirklich von Bedeutung. Mit seinem Generalangriff auf die RAI und zuvor die unabhängige Justiz ("rote Roben") hat Berlusconi jetzt eine Grenze überschritten, die nicht mehr als südländische Laisser-faire-Politik zu kaschieren ist. Im Gegenteil: Viren der "Berlusconitis" - so hat der im Juli verstorbene Nestor der italienischen Journalistik, Indro Montanelli, den autoritären Regierungsstil des Cavaliere genannt - haben damit auch Europa erfasst: Gemeinsame Werte, zumindest Freiheit und Demokratie, sind in akuter Gefahr.

Italien müsse Antikörper gegen diese Krankheit bilden, schrieb Montanelli. Das gilt nach wie vor. Noch viel notwendiger allerdings ist es, dass sich auch die EU gegen eine schleichende Infektion durch die Berlusconitis wehrt. Ein Impfstoff dafür steht jedenfalls seit dem "Fall Österreich" zur Verfügung: Artikel 7, Paragraph 1, Vertrag von Nizza.

Darin ist festgelegt, dass die EU einem Mitgliedsstaat "Empfehlungen" geben darf, sofern die Grundsätze der Union (Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit) begründet in Gefahr sind. Nun, Berlusconis Angriffe bedrohen ganz offensichtlich drei dieser Grundsätze. Wenn nicht jetzt, wann dann besteht Handlungsbedarf für die Union?

Lässt die EU Berlusconi weiter in dieser Manier gewähren, dann müssen es ihre Vertreter in Hinkunft auch ohne weitere Klagen hinnehmen, dass ein feixender Italiener seine Späße mit ihnen treibt. Und das nicht nur auf belanglosen Gruppenfotos. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 12.2.2002)