Ein Hinweisschild auf den Park wird man vergeblich suchen. Zum Ministerium für Erziehung und Sport gehe es hier, sagt ein Schild über dem schweren Eisentor, das eine hohe Steinmauer durchbricht. Erst die Nachfrage beim freundlichen Wachmann, der mit seinem uralten Schießprügel selbst wie ein Ausstellungsstück erscheint, verschafft Gewissheit. Ja, hier geht es zum Keshar Mahal, dem Garten der Träume im Zentrum von Kathmandu, gleich neben dem Königspalast. Alter Baumbestand nimmt den Besucher auf, der knapp dem Verkehrschaos der 500.000-Einwohner-Stadt im Himalaya entronnen ist. In den Wipfeln der Palmen, die rechter Hand zur Straße hin stehen, hängen Trauben fliegender Hunde mit hellbrauner Brust und schwarzen Flügeln, deren unablässiger Chor einen Wall bilden will gegen das akustische Inferno, das jenseits der Mauer von hupenden Autos und Mopeds, klingelnden Fahrrädern, scheppernden Tuk-Tuk-Sammeltaxis veranstaltet wird.Grünflächen sind rar in Kathmandu. Manchmal möchte es scheinen, als ob Dosen, Plastiktüten und anderer Unrat förmlich aus dem Boden wachsen oder auf Büschen und Bäumen, wie Früchte. Der Keshar-Mahal-Garten macht da keine Ausnahme. Der Schattenfall der Morgensonne lässt etwas von dem Charme und der Grandezza aufblitzen, die historische Fotografien der Anlage vermitteln. Als ich den zweiten Hof betrete, schrecke ich zwei Straßenköter auf, die eilig das Weite suchen. Vor einem Pavillon sitzt eine steinerne Frau auf einer bemoosten Mauer. Ihr erhobener rechter Arm grüßt noch mit einem Metallstab. Der Kopf fehlt bereits ganz, und auch der linke Arm ist brüchig; im Hintergrund ein Abfallhaufen aus Autoreifen, Plastik und Papier. Der schneeweiße Kalkputz, der die neoklassizistischen Gebäude in der Sonne strahlen ließ, hat im feucht-heißen Monsun über die Jahre Schimmel angesetzt und gibt hin und wieder den Blick auf die roten Ziegel frei, aus denen sie gemauert sind. Heruntergekommen, wie er ist, kann man den Wert des Parks nicht gleich erschließen: "Der Garten und seine Architektur stellen ein historisches und kulturelles Monument von Weltrang dar", sagt der österreichische Architekt Goetz Hagmüller, der schon seit vielen Jahren in Nepal lebt. Das Gesamtbild der Anlage ist inspiriert von der Architektur indischer Moguln, mit europäischen - vorwiegend edwardianischen - Elementen, wie sie zur Zeit King Edwards von London über Delhi auch nach Nepal kamen: eine Kombination aus französisch-formalen und englisch-romantischen Gartenkonzeptionen. Strenge Symmetrien werden an den Rändern von anarchisch-romantischen Einsprengseln durchbrochen. Der Wechsel der Ebenen wiederum erinnert an italienische Renaissancegärten. Das Kernstück der Anlage, das neoklassizistische Palastgebäude, wurde bereits im Jahre 1895 unter Maharaja Bir Shumshere gebaut. In seiner heutigen Form entstand der Garten seit den 20er-Jahren unter Keshar Shumshere, dem dritten Sohn des damaligen Maharadschas. Er war bekannt dafür, dass er über eine umfangreiche Sammlung botanischer Werke verfügte und sich stets die neuesten Pflanzenkataloge kommen ließ. Der Garten beherbergte nicht nur nepalesische Pflanzen, sondern auch Importe aus Australien und Europa. Wesentliche Teile des Gartens im Westen fielen bereits dem Bauboom des angrenzenden Touristenstadtteils Thamel zum Opfer. Darunter eine prachtvolle Rotunde und ein Ententeich, in dem sich bis zu 500 Enten getummelt hatten. Dort, im westlichen Teil, hatten auch Gebäude im Nepali-Stil gestanden, die verloren gegangen sind. "Mit seiner Mischung aus westlichen und orientalischen Elementen handelt es sich um einen sehr persönlichen Garten", sagt Erich Theophile, Architekt aus Boston und Exekutivdirektor des Kathmandu Valley Preservation Trust (KVPT), einer NGO, die sich die Erhaltung des kulturellen Erbes zum Ziel gesetzt hat. Keshar Mahal wird auch der Garten der sechs Jahreszeiten genannt: Für jede der sechs südasiatischen Jahreszeiten, Frühjahr, Frühsommer, Sommer, Monsun, Herbst und Winter gab es einen Pavillon, von denen allerdings nur mehr drei erhalten geblieben sind. Ihre Architektur ist an den Formen griechischer Tempel orientiert. Vor dem schönsten, dem Basanta- oder Frühlingspavillon sind zu beiden Seiten steinerne Elefanten als Wächter postiert. Alle Pavillons tragen Sinnsprüche aus der Weltliteratur. Keshar Shumshere besaß auch eine der größten privaten Bibliotheken Asiens. Auf der Marmortafel neben der Tür zum Frühlingspavillon steht ein Gedicht in englischer Sprache: "Der Lenz vergeht, die Rose welkt am Hang, das süße Buch der Jugend muss sich schließen; die Nachtigall, die in den Zweigen sang - wo kam sie her? Wer lauscht jetzt ihrem Klang?" Autor dieser Zeilen ist der persische Dichter, Mathematiker und Astronom Omar Khayyam, der im Jahr 1123 verstarb. Seine Gedichtsammlung, "The Rubaaiyat of Omar Khayyam", wurde 1859 von Edward FitzGerald ins Englische übertragen. Das Gedicht steht heute sinnbildlich auch für die vergängliche Schönheit des verwunschenen Traumgartens. Die Anlage gehört dem Erziehungsministerium, und das hat schon kein Geld für Schulen und Universitäten. Die österreichische NGO Eco-Himal mit Sitz in Salzburg und Kathmandu versucht nun, den Verfall zu stoppen und den Park wieder in einen Garten der Träume zu verwandeln. Die Idee ist die Schaffung einer Bildungs- und Freizeiteinrichtung, einer grünen Oase im Herzen der Stadt, die auch kommerziell genutzt werden soll. Gedacht ist unter anderem an die Einrichtung eines botanischen Gartens mit Vogel-Volieren, mit Raum für Veranstaltungen und Empfänge sowie für Cafés und Souvenirverkauf. Aus diesen Mitteln könnte dann die Anlage erhalten und könnten weitere Vorhaben finanziert werden, etwa die Restaurierung der prachtvollen Bibliothek. Die österreichische Entwicklungszusammenarbeit finanziert das Vorhaben mit 1,4 Mio. US-Dollar (1,308.139,54 Mio. EURO). Das Gesamtbudget liegt bei 5,8 Mio. Dollar. Die Restaurierungsarbeiten werden als On-the-job-Training für nepalesische Architekten, Techniker und Handwerker gleichzeitig auch eine Ausbildungsfunktion haben. Das Projekt soll bis Ende des Jahres 2002 abgeschlossen sein. Vorbild ist das mit österreichischer Hilfe unter der Leitung von Goetz Hagmüller eingerichtete Museum im Königspalast der benachbarten Tempelstadt Patan. "Was ich an diesem Projekt im Vergleich zu anderen, wie der Restaurierung 800 Jahre alter Tempel, besonders mag", sagt Erich Theophile, "ist die Zusammenführung von zwei Aspekten: der Erhaltung einer kulturellen Ressource und ihrer Nutzung. Nur 50 Prozent unserer Energie fließt in den Garten. Die andere Hälfte konzentriert sich auf die Aspekte Ausbildung, die Schaffung eines Kulturzentrums und so weiter." Theophiles Haus mit Blick auf den berühmten Durbar-Square und den alten Königspalast von Patan kann, ebenso wie das benachbarte Büro des KVPT, als gelungenes Beispiel dieses Konzepts gelten: Selbst die Adaptierung der mittelalterlich-kleinräumigen Architektur dieser Häuser aus der Malla-Periode (1200-1768) für heutige Bedürfnisse ist möglich und kann zu äußerst reizvollen Ergebnissen führen. Nur die Hälfte des historischen Keshar-Mahal-Gartens ist heute noch erhalten. Der Garten der sechs Jahreszeiten in seiner alten Form ist so nicht mehr herzustellen. Er war ursprünglich ohnehin Teil einer sehr viel größeren Anlage rund um den Königspalast. Das Konzept der Erhaltung mit und durch kommerzielle Nutzung könnte ein Präzendenzfall für eine ganze Reihe weiterer wertvoller Gebäude im Tal von Kathmandu sein. Am Barber Mahal, einem Palastgebäude, das heute einen Komplex von Läden und Restaurants beherbergt, wurde dies bereits vorexerziert: Er wurde von einem privaten Träger saniert. Ziel ist die Mobilisierung einheimischer Geschäftsleute und Sponsoren für solche Sanierungsprojekte. Das wird auch in der Trägerschaft des Projekts deutlich: Einem Keshar Mahal Garden Development Board gehören neben Eco-Himal und dem Erziehungsministerium auch Nachkommen der Rana-Familie und Vertreter des Privatsektors an. Im Tal von Kathmandu gibt es sieben Stätten, die von der Unesco zum Kulturerbe der Menschheit erklärt wurden. "Das Kulturerbe des Kathmandu-Tals ist vielleicht die reichste und am wenigsten entwickelte Ressource für den Tourismus in Nepal", sagt Erich Theophile. "Der Kulturtourismus ist noch sehr unterentwickelt. Meist werden nur die Hauptsehenswürdigkeiten besucht, normalerweise an Puffertagen zwischen dem Flug und dem Beginn und Ende eines Trekkings ..." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9./10. 2. 2002)