Kurz vor dem Prozessbeginn gegen Slobodan Milosevic in Den Haag läuft eine Schockwelle durch Serbien. Die Menschen erkennen konsterniert, dass ihre gesamte ehemalige Führungselite auf der Anklagebank des Kriegsverbrechertribunals Platz nehmen könnte, und fragen sich, ob die Verurteilung ihrer Exspitzenpolitiker nicht auch gleichbedeutend mit einer Verurteilung aller Serben und des serbischen Staates sei. Das hätte nicht nur eine moralische Dimension, es würden auch Reparationszahlungen an Bosnien und Kroatien drohen.

Doch das hätten sich "die Serben", mit Verlaub, vor fünfzehn Jahren fragen müssen, bevor Milosevic das Land zuerst in seinen Bann und dann in den Abgrund zog. Die Aggression ging eindeutig von Belgrad aus, was der heutige Präsident Vojislav Kostunica aber noch immer nicht vorbehaltlos zugibt. Mit dem Kriegsverbrechertribunal wird nur deswegen zusammengearbeitet, weil daran finanzielle Hilfe gekoppelt ist, die dringend benötigt wird. Tatsächlich sitzt ein Teil der alten Elite noch immer an den Schalthebeln der Macht in Serbien.

Diese alte Elite, die vor allem in der Wirtschaft, in der Armee und in der Polizei tätig ist, bremst den Umbau des Landes, wo sie nur kann und nach wie vor mit einigem Erfolg. So muss sich der serbische Staat fragen lassen, warum seit dem glorifizierten Umbruch am 5. Oktober 2000 kein einziger Kriegsverbrecherprozess im eigenen Land und aus eigenem serbischen Antrieb begonnen hat. Die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit wurde umgehend an Den Haag delegiert.

Tatsächlich findet aber in Den Haag ein ganz normaler Strafprozess statt, nur eben vor einem internationalen Gerichtshof und gegen einen ehemaligen Staatschef. Dieser Gerichtshof wird den Verbrechen am Balkan endlich "Namen und Vornamen" geben, wie es die Vorsitzende des serbischen Helsinki-Komitees für Menschenrechte, Sonja Biserko, hofft.