Brüssel/Wien - 105 Politiker entwerfen die Zukunft Europas: Am 28. Februar wird der EU-Reformkonvent in Brüssel zusammentreten, um so etwas wie eine Verfassung der Union auszuarbeiten - auch wenn dieser Begriff geflissentlich vermieden wird. Mittlerweile sind die Vertreter von Regierungen, Nationalparlamenten und EU-Parlament bekannt, die unter dem Vorsitz des 75-jährigen französischen Expräsidenten Valéry Giscard d'Estaing beraten werden.

Giscard selbst hatte zuletzt mit überzogenen Gehaltsvorstellungen von angeblich 10.000 Euro (137.600 S) pro Monat für Unmut gesorgt. Jetzt steht das Budget fest: Der zehnmonatige Konvent soll 10,5 Millionen Euro (144 Mio. S) kosten. Giscard bekommt für jeden Arbeitstag in Brüssel 1000 Euro (13.760 S) Spesen.

"Der Einstieg mit der Frage der Entlohnung war nicht gerade ein Glück", sagt Caspar Einem im Gespräch mit dem STANDARD. Der SPÖ-Nationalratsabgeordnete wird einer der vier Österreicher im Konvent sein. Mit ihm ziehen sein Nationalratskollege Reinhard Bösch (FPÖ) sowie Exwirtschaftsminister Hannes Farnleitner (ÖVP) für die Bundesregierung und Johannes Voggenhuber (Grüne) für das EU-Parlament ein.

Einem hat schon Konventserfahrung: Im Jahr 2000 saß er in der EU-Versammlung, die die Grundrechtscharta entwarf. Die Arbeitsmethode im Verfassungskonvent wird ähnlich sein. Nur: "Es wird ungleich schwieriger werden, zu einem Kompromiss zu kommen", prophezeit Einem. Er erklärt das mit einem Hinweis auf zwei Gremienmitglieder - Italiens Vizepremier und postfaschistischen Parteiführer auf der einen und den französischen Europaminister und Sozialisten auf der anderen Seite: "Ich weiß nicht, wie hoch die die Übereinstimmung zwischen Fini und Moscovici ist."

Dabei ist, nicht nur nach Ansicht Einems, die Einmütigkeit die wichtigste Erfolgsgarantie für den Konvent. Dessen Ergebnisse müssen nämlich noch von einer EU-Regierungskonferenz Ende 2003 abgesegnet werden. "Nur wenn es gelingt, ein Konsenspapier zu erreichen, gibt es eine Chance. Dann werden die Regierungschefs nicht umhin können, den Vorschlag anzunehmen", so Einem.

Doch die Trennlinien werden nicht so sehr entlang der Parteigrenzen verlaufen. "Wir haben beim Grundrechtskonvent die Erfahrung gemacht, dass manche Staaten, unabhänging von der Fraktionszugehörigkeit ihrer Vertreter und unabhängig von ihrer Funktion - ob Parlamentsvertreter oder Regierungsvertreter -, einfach integrationsfeindlich oder -skeptisch sind", sagt Einem und nennt Großbritannien, Dänemark und Schweden. "Wenn nun im Präsidium einer der Parlamentsvertreter ein Engländer ist, haben wir natürlich schon ein Problem", so Einem.

Umso wichtiger sei es, dass der Konventspräsident Autorität besitze, meint Einem: "So einen Haufen von 105 Leuten, die alle eher hochkarätig sind, zusammenzuhalten und nicht eine wunderbare Schlacht entstehen zu lassen, ist schon auch eine Kunst." Ob Giscard da der Richtige ist? - "Meine Einschätzung ist, dass Giscard sozusagen der Repräsentant einer französischen Elite ist und sich auch so sieht. Und das kann schon manchmal auch ein wenig schwierig sein." (DER STANDARD Print-Ausgabe, 5.2.2002)