Europa
Fahndung nach Karadzic intensiviert
Deutsche SFOR-Soldaten führen nächtliche Verkehrskontrollen durch - Noch 82 Anklagen vor Haager UNO-Kriegsverbrechertribunal
Belgrad/Banja Luka/Den Haag - Die Fahndung nach dem "meist gesuchten
Kriegsverbrecher", dem früheren bosnischen Serben-Führer Radovan
Karadzic, hat sich nach den Angaben der in Banja Luka erscheinenden
Tageszeitung "Nezavisne novine" intensiviert. Das Blatt berichtet,
dass Angehörige des deutschen Kontingentes der internationalen
Stabilisationstruppe SFOR seit Sonntag regelmäßig auch nächtliche
Verkehrskontrollen durchführen. Die Tageszeitung beruft sich dabei
auf die Aussagen eines deutschen Oberstleutnants. Die deutschen SFOR-Soldaten sind für das Gebiet zwischen Rajlovac
bei Sarajewo bis hin zu Srbinje (früher Foca), an der
bosnisch-jugoslawischen Grenze, zuständig. Die Medien hatten zuvor
über intensivierte Aktivitäten der britischen und amerikanischen
SFOR-Soldaten in der Region von Trebinje, Bileca und Gacko in
Südostbosnien berichtet.
Voraussichtlich wird sich damit die Zahl der Haftinsassen des Haager UNO-Kriegsverbrechertribunals in Bälde
erhöhen. Auch der bosnisch-serbische Militärführer Ratko Mladic,
der sich angeblich weiterhin in der Umgebung Belgrads versteckt,
dürfte sich nicht mehr sicher wähnen.
32 Personen auf freiem Fuß
Das UNO-Tribunal für Ex-Jugoslawien hat sich noch mit 82 Anklagen zu befassen. Während
sich 44 Angeklagte im Tribunalsgefängnis von Scheveningen befinden,
sind weitere 32 Personen noch auf freiem Fuß. Die Identität von zwei
Angeklagten wurde bis jetzt nicht veröffentlicht. Weitere sechs
Angeklagte wurden freigelassen, um den Prozessbeginn in Freiheit
abzuwarten. Dies gilt auch für die einzige Frau unter den
Angeklagten, die frühere bosnisch-serbische Präsidentin Biljana
Plavsic.
Seit der Einrichtung des Tribunals im Mai 1993 wurden 16 Prozesse
abgeschlossen. Elf Angeklagte wurden zu Haftstrafen zwischen drei und
46 Jahren verurteilt. Fünf weitere wurden freigesprochen. Drei
Angeklagte verstarben während der Haft, was zur Einstellung der gegen
sie geführten Prozesse führte.
Einer der Verurteilten - Drazen Erdemovic - der am 5. März 1998
wegen der Ermordung von rund 100 Personen in Srebrenica zu fünf
Jahren Haft verurteilt worden war, hat seine Strafe in einem
norwegischen Gefängnis bereits abgebüßt. Am raschesten expeditivsten hatte sich das Tribunal in der Causa
Ante Furundzija gezeigt. Der Prozess gegen den bosnischen Kroaten
dauerte fünf Monate und 20 Tage. Der bisher längste Prozess (in
erster Instanz) wurde gegen den bosnisch-kroatischen General Tihomir
Blaskic - zwei Jahre und sieben Monate - geführt.
Prozess gegen Milosevic beginnt am 12. Februar
Der am 12. Februar beginnende Prozess gegen den prominentesten
Haftinsassen in Scheveningen, den früheren jugoslawischen Präsidenten
Slobodan Milosevic, dürfte alle Rekorde schlagen. Die Chefanklägerin
Carla del Ponte hatte Ende Oktober rund 340 Prozesstage für die
Vorführung von Beweisen gegen Milosevic beantragt.
Die kürzeste Anklage - eineinhalb Seiten - wurde gegen den früheren
Führer der Krajina-Serben, Mile Martic, erhoben. In der Causa Martic
hatte das Tribunal auch rasch gehandelt. Die Anklage wegen
Granatenbeschusses von Zagreb am 2. und 3. Mai 1995 lag bereits knapp
drei Monate später - am 24. Juli - vor.
Amtierender serbischer Präsident unter den Angeklagten
Einer der Angeklagten hat noch immer ein offizielles Amt inne. Der
serbische Präsident Milan Milutinovic war zusammen mit Milosevic
wegen Kriegsverbrechen im Kosovo angeklagt worden. Sein Verbleiben im
Amt wird in Belgrad mit der komplizierten Amtsenthebungsprozedur
erläutert. Die Amtsperiode Milutinovics läuft Ende des Jahres ab. Es
wird nicht ausgeschlossen, dass Milutinovic noch vorher im Tribunal
als Zeuge im Prozess gegen Milosevic aussagt.
Das UNO-Tribunal will seine Arbeit, was die Erhebung von Anklagen
angeht, bis 2004 absolvieren. In den darauf folgenden vier Jahren
sollen auch alle noch vorstehenden Prozesse beendet werden.(APA)