Zwölf Jahre nach der Demontage des Eisernen Vorhangs ist man ernsthaft dabei, die EU-GmbH zum eigentlichen Europa zu erweitern. Zeit für einen Rückblick auf die nun schon historischen Jahre nach der Wende - zum Beispiel beim vertraut-fremden Nachbarn Ungarn. Margot Wieser, 1989 von Salzburg als Lektorin antizyklisch dorthin aufgebrochen, als alles in den Westen strömte, mittlerweile in Budapest beruflich etabliert, hat damals dreizehn Frauen befragt: alte und junge, wohlhabende und arme, gebildete und ungebildete, von der Schneiderin bis zur Ärztin, von der Künstlerin bis zur Unternehmerin, von der Zigeunerin bis zur zugereisten Deutschen. Kaleidoskop aus Privatem und Politischem Herausgekommen ist eine "etwas andere ungarische Landeskunde", ein faszinierendes, sorgfältig komponiertes Kaleidoskop aus Privatem und Politischem, bizarre, bittere und banale Lebensgeschichten, in mancherlei Hinsicht gebrochen durch die Nachkriegsereignisse. Ob das 1956 nun eine "Revolution" oder eine "Konterrevolution" war, wissen viele immer noch nicht. Der Umbruch, der Aufbruch in eine demokratische Gesellschaft bescherte den Frauen in einem Land, in dem noch heute die Männer ziemlich unwidersprochen das Sagen haben und "Feministin" als Schimpfwort gilt, recht gemischte Gefühle. Eine leitende Position, meinte eine Sekretärin, sei nichts für Frauen - heute arbeitet sie an führender Stelle. Vom ungewohnten Existenzkampf ist die Rede und von Leuten, die schlagartig von der Partei in die Kirchenbank gewechselt haben, auf Ungarisch "von einer Seite des Pferdes auf die andere gefallen sind". Mitsamt den informativen Hungarica im Anhang: ein Buch für alle, die vor der Osterweiterung den eigenen Horizont erweitern wollen. (Daniela Strigl/DER STANDARD, Printausgabe 30.01.2002)