Der große Hype um die New Economy hat sich zwar etwas gelegt, seit die Börsenkurve der neuen, jungen Paradefirmen eher stark nach unten ging. Dennoch bleibt der Begriff der New Economy eine Leitlinie für die Wirtschaftspolitik im 21. Jahrhundert: Er impliziert, dass das wirtschaftliche Verhalten von Unternehmen, Konsumenten und auch von Institutionen sich durch neue Technologien so stark verändert hat, dass ein neues Paradigma des Wirt_schaftens eingeleitet wurde.Kerntechnologien Karl Aiginger, Industrieexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts, identifiziert dabei vor allem zwei Querschnittstechnologien, deren Einsatz die New Economy im Kern konstituiert: die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und die Life Sciences, also im Wesentlichen die Biotechnologie. Diese beiden "New-Economy- Technologien", so Aiginger, "werden in Zukunft die Wettbewerbsfähigkeit der Industrieländer definieren. Sie erweitern die Optionen von Konsumenten und Firmen, sie beeinflussen die Lebensqualität, sie verändern die Produktionsweisen und sie stellen eine Herausforderung an die gesellschaftliche Kohärenz dar. Letztendlich bestimmen sie den Wachstumspfad der Wirtschaften." Wachstumsimpuls Ein transatlantischer Vergleich zeigt, dass die USA praktisch bei allen relevanten Indikatoren für die beiden New-Economy-Technologien einen deutlichen Vorsprung gegenüber Europa aufweisen. Der Anteil von IKT an der gesamtwirtschaftlichen Produktion wurde für die USA mit 8,7 Prozent berechnet, für Europa um ein Drittel weniger. Nach jüngsten Untersuchungen ist der Impuls, der von den Technologien ausgeht, in den USA für 0,8 bis einem Prozentpunkt des realen Wirtschaftswachstums verantwortlich. Ein Drittel bis zu einem Viertel des US-Wachstums ist also auf den forcierten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien zurückzuführen. Vergebene Wachstumschance Für Europa wird dieser Wachstumseffekt hingegen auf bloß 0,4 bis 0,5 Prozentpunkte geschätzt. Aiginger: "Europa vergibt sich also wegen des Rückstands in der Anwendung dieser Technologien eines potenziellen Wachstumsschubs um einen halben Prozentpunkt, was beim langfristigen Trend von 2,5 Prozent immerhin einem Fünftel des realen Wachstums entspricht." Aus dieser Sicht stellt die Promotion von IKT und Life Sciences die effizienteste Wachstumspolitik dar, resümiert Aiginger. Es gebe keine andere Politik, die den mittelfristigen Wachstumspfad einer Wirtschaft in ähnlicher Weise anheben könne. Größe zählt nicht Dabei stellt die Größe von Wirtschaften ein weit weniger gewichtiges Argument für die Entwicklung dieser Technologien dar als in den klassischen Produktionstechnologien. Gerade die kleinen europäischen Länder haben in den New-Economy-Technologien einen hohen, den USA durchaus vergleichbaren Standard erreicht. Schweden und Finnland gehören zu den weltweit führenden Nationen. Österreich gehört leider nicht zu den kleinen Ländern an der Spitze, es liegt im europäischen Mittelfeld. Für die EU stellt dieser Befund eine große Herausforderung dar. Die Promotion von IKT und Life Sciences erfordere "einen extrem klugen Einsatz der Wirtschaftspolitik", meint Aiginger und verweist auf Arbeiten von Paul Geroski, einem Ökonomen von der London Business School. Es gelte, die Produktion von Wissen (und seine möglichst rasche und ökonomische Einbettung in neue Produkte und neue Prozesse) und seine möglichst breite Anwendung zu stimulieren und dabei die Entstehung von Informationsmonopolen zu verhindern. Gefordert sind dabei:
  • eine konsequente Patentpolitik, die Patente so weit definiert, dass die Investitionen von Innovatoren geschützt werden, nicht aber die öffentlich finanzierten Vorleistungen dafür mit eingeschlossen werden;
  • eine effektive Wettbewerbspolitik, damit Monopole über Wissen - siehe Microsoft - nicht dazu genutzt werden können, technologische Entwicklungen in eine, den privaten Interessen entsprechende Richtung gelenkt werden;
  • sowie eine Industriepolitik, die auch dort, wo es unmöglich ist, aus Innovation privat verwertbare Vorteile zu erzielen, durch Förderungen Anreize für die Forschung setzt.
Gerade in wissensintensiven Industrien werden intelligente Förderkonzepte daher weiter eine große Rolle spielen. (Johannes Steiner, DER STANDARD, Printausgabe 22.1.2002)