Seit Unbekannte in den USA Briefe mit Anthraxsporen verschickt haben, ist man sich des Bioterror-Risikos bewusst. der Standard bringt Auszüge aus einem neuen Buch über die gefährlichsten Waffen der Welt. Sie sind freilich keine Erfindung des Hightech-zeitalters. Schon im Altertum gab es Methoden biologischer Kriegsführung.

Im Raum nördlich und östlich des Schwarzen und des Kaspischen Meeres verbreiteten die Skythen zwischen dem 8. und dem 3. Jahrhundert vor Christus Angst und Schrecken. Die Krieger des nomadischen Steppenvolks galten schon den Geschichtsschreibern in der Antike als gefürchtet. Ihre Pfeile, die mit Widerhaken versehen waren, präparierten sie mit Schlangen- oder Leichengift und Mist, der bereits Tetanus- und Gasbranderreger enthielt.

Fliegende Leichen

Im Mittelalter brachte die Erfahrung verheerender Epidemien die Feldherren auf die Idee, den Feind mit den eigenen Plagen zu schlagen. Der erste große überlieferte Bioangriff nach diesem Muster fand auf der Halbinsel Krim statt. 1346 standen die Tataren vor der Stadt Kaffa (heute Feodosija in der Ukraine), einer bedeutenden Handelsniederlassung der Genueser. Als unter den Soldaten eine Pestepidemie ausbrach, versuchten sie, ihr Unglück gegen die belagerte Stadt zu richten: Sie schleuderten Pestleichen über die Befestigungsmauern.

Gabriele de Mussis, ein Chronist aus dem italienischen Piacenza, wurde zum Augenzeugen des Pestausbruchs: "Zu diesem Zeitpunkt befiel die Seuche die Tataren. Deren ganzes Heer geriet in Panik, und täglich starben Tausende. (...) Diese zeigten bald entsprechende Symptome an ihrem Körper, nämlich an den Gelenken, ferner an den Leisten verklumpte Körpersäfte. Folgte das Fäulnisfieber, starben sie, wobei die Ärzte weder Rat noch Hilfe geben konnten. Als die Tataren, von Kampf und Pestseuche geschwächt, bestürzt und in jeder Hinsicht verblüfft zur Kenntnis nehmen mussten, dass ihre Zahl immer kleiner wurde, und erkannten, dass sie ohne Hoffnung auf Rettung sterben mussten, banden sie die Leichen auf Wurfmaschinen und ließen sie in die Stadt Kaffa hineinkatapultieren, damit alle an dem unerträglichen Gestank zugrunde gehen sollten." In der Stadt, berichtet de Mussis, türmten sich die Leichen. Die Einwohner versenkten die Leichen im Meer. "Überwältigt von der Pestseuche, starben fast alle."

Die Rechnung der Belagerer ging auf. Geschwächt von der Seuche, kapitulierten die Verteidiger, und die Tataren eroberten die Stadt. Nach de Mussis Schilderungen flüchteten pestinfizierte Einwohner Kaffas mit Segelschiffen nach Genua, Venedig und in andere Mittelmeerstädte. Einige Historiker vermuten, dass Kaffa Ausgangspunkt für die katastrophale Pestepidemie war, die im 14. Jahrhundert ein Drittel der Bevölkerung Europas dahinraffte.

Historisch gesichert ist der Bioangriff der Tataren nicht. Von Kriegsherren aller Länder sind aber über die Jahrhunderte hinweg Nachahmungen überliefert. Die Hussiten katapultierten 1422 während der Belagerung der Burg Karlstein nahe Prag angeblich an Pest verstorbene Soldaten hinter die Reihen der feindlichen Truppen. 1710 sollen russische Soldaten Pestleichen über die Mauern der damals schwedischen Stadt Reval, der heutigen estländischen Hauptstadt Tallinn, geschleudert haben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 1. 2002)